Hölzerner Wahnsinn: Trash saved me!

Kitsch rettete mich. Und Kant schlug Purzelbäume in einer absurden Welt – warum Italiener gut für die Gesundheit sind.

Gerade ist etwas Merkwürdiges passiert. Bei der täglichen Lektüre einer leider nicht sehr bekannten Berliner Tageszeitung hörte ich Musik. Musik, beladen von überwältigendem Kitsch, Pathos, Leidenschaft und Hollywood – RHAPSODY eben. Ich hasse Hollywood, beinahe jeden Film, der von dort kommt, könnte ich ohne mit der Wimper zu zucken das Klo hinunterspülen. Daß ich trotzdem RHAPSODY höre, und das hin und wieder gerne, ist darum eines der vielen ungeklärten Mysterien dieser Welt – die aber, wie ich vor wenigen Stunden gelernt habe, gar nicht mysteriös sind, wenn man annimmt, daß der Mensch Erkenntnis nur mit menschlichen Mitteln erlangen kann und deshalb der Rest so dermaßen wurscht ist, daß es knallt. Kant eben.

Wie dem auch sei, RHAPSODY suchten gerade ihr „Empire Of Steelgods“, als folgende Meldung mir ins Auge sprang: Iris Berben, die, die erst „später“ älter wird, werde demnächst in Berlin aus den Tagebüchern von Joseph Goebbels und Anne Frank lesen, um zwei unterschiedliche „Zeitzeugen des Nationalsozialismus“ „von ihrer Angst“ sprechen zu lassen. Kein Kommentar. Ein paar Seiten zuvor hatte ich bereits gelesen, daß in Hamburg nun unter einer „rechtskonservativen“ Regierung so gut wie allen sozialen Einrichtungen das Geld soweit gekürzt werden soll, bis diese von selbst aufgeben – AIDS-Hilfe, Frauenhäuser, Drogenberatungsstellen. Die Alternative: 500.000 Euro für ein „Anti-Grafitti-Programm“. Und dann war mir da noch was ins Auge gefallen, hatte sich dort ausgebreitet und ganz gewaltigen Schaden angerichtet: Berlins Schüler sind zu dumm, um die Fragebögen der nationalen PISA-Studie auszufüllen, was nach Expertenmeinung vor allem an unserem unsäglichen dreigliedrigen Schulsystem liegt, das aber dennoch nicht endlich abgeschafft wird, weil bestimmte Holzköpfe das einfach nicht kapieren. Gleichzeitig liegt ein ausgewiesener Demagoge und Volltrottel mit acht Punkten vor dem, den er herausfordert – welcher allerdings nicht minder behämmert ist, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ach ja: in aller Welt ist Krieg, jeden Tag erschlägt mich die so genannte –zeile der Tageszeitung mit neuen Todeszahlen. Und Deutschland macht natürlich mit bzw. nichts dagegen.

Eigentlich hätte mir ja nun schlecht werden sollen. Ich hätte dem Spruch „Man kann gar nicht soviel essen wie man kotzen möchte“ alle Ehre erweisen sollen. Ich hätte die Zeitung in die Ecke werfen, den Schnaps aus dem Schrank holen und den Tonträger mit der aggressivsten Musik auflegen sollen, um zu verhindern, Bomben zu schmeißen. Ich hätte – habe es aber nicht. Stattdessen durchströmte mich ein Gefühl der absoluten Macht, der absoluten Überheblichkeit, des puren Größenwahns und der unendlichen Gewißheit, das Richtige zu tun und zu denken. Ja, man kann sagen, ich sei verrückt geworden. Oder aber: Ich wurde gerettet, von einigen Pathos-besessenen Italienern, die darüber sangen, dem „Empire of Steelgods“ mit seinen „Gargoyles, Angels Of Darkness“ einen Besuch abzustatten. „Trash saved me!“, ein Songtitel, mit dem ich berühmt werden werde, wenn ich endlich Monarch bin, um die Monarchie abzuschaffen und mit ihr alles, was gefolgt war.

Irgendwie ist das ja absurd. Es ist auch absurd, diese lang erwartete Kolumne so zu schreiben, wie ich das jetzt tue. Absurd ist auch, in Größenwahn zu schwelgen, Power Metal zu hören oder in einigen Wochen Abitur zu haben. Und nicht nur das: Ich habe Rückenschmerzen – warum tut niemand was dagegen, ich zum Beispiel? Wenn Kitsch die Menschheit rettet, muß dann jeder den ganzen Tag Kitsch konsumieren? Wie wäre es mit einer Kitsch-Überwachungspolizei, die täglich kontrolliert, daß wir alle genug Kitsch zu uns nehmen, um nicht zuviel zu denken? Also, Leute, jeden Tag mindestens ein MANOWAR-Album, das hilft! Im Prinzip ist das dann dasselbe wie in der Schule – dort wird man auch vom Denken und Lernen dadurch abgehalten, daß sämtliche Räume stinken, man zu den unmöglichsten Dingen gezwungen wird und ständig Angst, Streß und Druck erzeugt wird. Inwieweit man das nun mit Bombast-Kitsch gleichsetzen sollte, sei nun des Lesers Bewertung überlassen. Die Hoffnung stirbt nie. Oder zuletzt.

In diesem Sinne,

Andi

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