Hölzerner Wahnsinn: Die Apokalypse

Die Apokalypse eben. Eine wahre Geschichte über Armbänder, Amerika und Deutschland.

Der Super-Gau naht. Nur noch wenige Tage, dann ist alles vorbei. Herrliche Zeiten gehen zu Ende, Zeiten von Glanz und Gloria, Zeiten von uneingeschränkter Herrschaft über jene minderbemittelten Menschen, die immer noch der Idee hinterherhecheln, Quantität sei gleich Qualität oder, was ja noch viel schlimmer ist, gar besser als diese. Ach, was habe ich mich gesonnt im Kreise jener, die sie besitzen; was habe ich sie angestarrt, jeden Tag, was habe ich sie versucht zu vergessen…

Die Rede ist natürlich von Wacken-Armbändern. Einst als Statussymbol etabliert in der Metal-Szene, dann einfach aus Gewohnheit drangelassen, wird diese Ikone meiner Jugend in den nächsten Tagen fallen. Gut, mein Handgelenk zieren nur zwei der hübschen Bändchen, habe ich doch das ´99er, ohne vom Kult zu wissen, in jugendlichem Eifer abgeschnitten. Was waren das noch für Zeiten! Frischgebacken in der gymnasialen Oberstufe wußte ich noch nichts von Dingen wie Prestige oder Image – bzw. wußte zuviel davon, denn wie sehr schämte ich mich für mein Vergehen gegen metallische Ehren und Würden, als ich mein nun blankes Handgelenk betrachtete.

Doch diesmal ist alles anders. Die Bänder 2000 und 2001 stören mich. Ja, ich kann sie nicht mehr sehen. Ich will mich beim Duschen nicht mehr an den Metallteilen schneiden – nein, ich will es nicht mehr! Ich werde sie abschneiden. Spätestens mit Beginn der Herbstferien kommen diese Geißeln der Menschheit ab.

So, nun ist es also raus. Den Kasten Bier werde ich demnächst kaufen, Gegenstand einer Wette, nur bei der Marke bin ich mir noch nicht schlüssig, Ort und Zeit stehen auch noch nicht fest, aber ich weiß, es wird ein feierlicher Akt. Gut, vielleicht gibt es feierlichere Anlässe, vielleicht auch nicht, vielleicht ist das Leben auch nur ein Gummiball – es gibt Dinge, die will man nicht wissen, die kann man nicht wissen und die darf man nicht wissen. Deshalb auch das Bier. Denn, ihr müßt wissen, wenn es nach mir ginge, versuche ich zuerst davon zu kosten, um mich dann der Schere zu widmen. Und es ist mir egal, ob man mich dann „Andi Ussama Bin Holz“ ruft, es ist mir verdammt noch mal wurscht!

Womit wir beim Thema wären. Diesen tiefen Einschnitt in meinem Leben mit dem tiefen Einschnitt in das Leben eines jeden guten patriotischen Amerikaners zu vergleichen, ist vermessen. Tut ja auch niemand. Wie wir aber wissen, gibt es Dinge, die sind wichtig. Dazu gehört die Menschlichkeit, eine Eigenschaft, die ich jetzt mal ganz dreist als positiv auslege, und die vor einigen Wochen einen tiefen Schlag erlitten hat und jetzt mit jedem Tag weiter erleidet. Hier hat sie vieles gemeinsam mit von Tierversuchen gequälten und halbtoten Tieren – ein Schlag mehr oder weniger macht da auch nicht mehr viel.

In diesen Tagen eine Kolumne zu schreiben, ist gefährlich. Man könnte das Kunstück wagen, die Anschläge und den darauf folgenden Krieg nicht zu erwähnen – vielleicht ginge das als konsequente Antikriegsstrategie durch, als manchmal ganz hilfreiche Ignoranz gegenüber Idioten wie Herrn Bush; und ich muß zugeben, die Versuchung ist groß, Solefalds brillanten Song „The Usa Don’t Exist“ noch enthusiastischer mitzusingen. „Just a fat film with too much to say“, heißt es da nämlich weiter, und ich muß sagen, der Versuchung ist nicht beizukommen bei solchen Zeilen. Antiamerikanismus hin oder her – ein Krieg ist nunmal nicht zu rechtfertigen, und da die USA momentan gegen die UN-Charta verstößt, ist solcherlei Gebaren auch auf jeden Fall legitim.

Man könnte natürlich auch auf den Zug aufspringen, der etwa 90% der Presse, sowohl im Internet als auch im Print-Bereich, in den metaphorischen Abgrund fährt. Dann müßte hier etwas von „uneingeschränkter Solidarität“, am besten noch „der Metalszene“, stehen, oder auch der Satz „Wir sind jetzt alle Amerikaner“, ein an Schwachsinn nicht mehr zu überbietender Satz übrigens, in unsere Sprache umgewandelt zu „Wir sind jetzt alle US-Metaller“. Das wäre doch was, nicht wahr?

Nein. Das wäre grausam, denn was in diesen Tagen wichtig ist, das ist vor allem dein Verstand. Ohne den bist du geliefert, denn was momentan an Propaganda in Deutschland abläuft, ist unglaublich. Da wird uns weisgemacht, elementare Grundrechte seien verzichtbar zum Zwecke der „Terrorismusbekämpfung“, uns wird eingetrichtert, wir seien „jetzt alle Amerikaner“, weil „wir ohne die Amerikaner unglücklicher wären“ (der FAZ-Herausgeber in der BILD), Gerhard Schröder spricht von „uneingeschränkter Solidarität“, sprich: die USA dürfen alles, wir nichts, und Ulrich Wickert wird, was übrigens verfassungsfeindlich ist, gezwungen, seine Meinung zurückzunehmen und „den Führer der freien Welt“ nicht mehr zu kritisieren. Man kritisiert in Deutschland ja auch nicht den Führer, wo kämen wir denn da hin! Was mir dazu einfällt, wurde in der Sendung „Scheibenwischer“ in einer Parodie auf Otto Schily sehr treffend zum Ausdruck gebracht: „Wir wollen einfach mehr Diktatur wagen!“

Wieso auch nicht? Freiheit und Demokratie hatten wir lange genug, nämlich noch überhaupt nicht, wozu überhaupt das Grundgesetz, ist doch längst überflüssig. Da dürfen große „christliche“ Volksparteien auch mal ganz unverblümt Änderungen desselben fordern. Noch mehr Änderungen? Warum nicht gleich das gute Stück wegschmeißen?

Liebe Leute, was ich euch mit dieser Kolumne eigentlich sagen wollte, ist eigentlich nicht wichtig. Vielleicht „Bleibt Metal!“? Wäre auch eine Möglichkeit; Metal ist ja recht hart, also ein guter Schutz. Auch vor Atombomben? Volkmar Weber schreibt übrigens im neuen Legacy davon, daß wir alle Poser seien, weil: „Only Death Is Real!“, und damit hat er völlig Recht.

In diesem Sinne, einen fröhlichen (nuklearen) Winter,

Andi

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