Festivals sind doof!

Ich denke dabei in erster Linie an die großen, renommierten Open Air-Veranstaltungen, bei denen immer DORO, RAGE und GAMMA RAY auftreten. Die machen uns die ganze Konzertkultur kaputt. Statt abendfüllender Headliner-Shows der einzelnen Bands bekommen die Fans an einigen wenigen (häufig verregneten) Wochenenden eine (gestreckte) Überdosis Schwermetall verabreicht.

Festivals sind doof. Ich denke dabei in erster Linie an die großen, renommierten Open Air-Veranstaltungen, bei denen immer DORO, RAGE und GAMMA RAY auftreten. Die machen uns die ganze Konzertkultur kaputt. Statt abendfüllender Headliner-Shows der einzelnen Bands bekommen die Fans an einigen wenigen Wochenenden eine (gestreckte) Überdosis Schwermetall verabreicht. Kleinere Bands haben gerade genug Zeit, ein paar aktuelle Lieder und ein paar alte Schoten zum Besten zu geben, und selbst große Bands sind besonders im Zugabenbereich stark eingeschränkt. Selbst wenn die Meute rast, wartet entweder schon die ganz große Band am Bühnenrand, oder die Sperrstunde rückt langsam aber sicher in bedrohliche Nähe. Neben den zeitlichen Einschränkungen tragen besonders die technischen Umstände zu einem suboptimalen Auftritt bei. Weil der Umbau schnell über die Bühne gehen muss, gibt es nicht nur häufig Soundprobleme, sondern auch beeinträchtigte Leistungen der Musiker, wenn diese mit fremdem Equipment und schlechter Monitoraussteuerung zu kämpfen haben. Weiterhin hat die Verlagerung hin zu Festivalauftritten zur Folge, dass die Bands nicht mehr so gut eingespielt sind. Nach zwei Wochen auf Tour klingen die meisten Bands einfach tighter, egal wie lange sie zuvor im Proberaum geübt haben.

Festivals sind natürlich ein guter Schauplatz für spektakuläre Ereignisse wie Wiedervereinigungen, Orchesterdarbietungen oder schlichte Best of-Programme. Noch immer neigen viele Bands aber dazu, einfach ihr Standardprogramm abzuspulen, freilich gekürzt, da ja immer ganz, ganz viele Bands auf dem Programm stehen, obwohl der Großteil des Publikums eh nur wegen der letzten Bands da ist. Viele Leute kommen trotzdem schon zeitig. Das hat mehrere Gründe: Erstens sind dann die sanitären Anlagen erst ziemlich verunreinigt. Zweitens kann man noch jede Menge Geld für Essen und Trinken ausgeben. Drittens trifft man immer ganz viele Leute, weil ja alle wichtigen Menschen das Festival besuchen. So hat man dann endlich mal die Gelegenheit Gargoylady666natas aus dem Black Metal-Forum persönlich kennenzulernen, der sich überraschenderweise als Wohnungsmakler und Tennissockenträger outet. Viertens löst es ein irres Wohlbefinden aus, wenn man zusammen mit seinen Kumpels über die Pappschwert tragende Fantasy Metal-Band ablästert, deren Musiker trotz der prallen Mittagssonne dicke Fellklüfte anhaben und sich dementsprechend tot schwitzen. Fünftens neigen besonders schwäbische Fans dazu, bereits um 9 Uhr morgens beim Soundcheck des Openers anwesend zu sein – schließlich haben sie ja dafür bezahlt!

Festivals sind trotzdem doof. Tagelang lebt man auf höchst unzivilisierte Weise, ernährt sich von Chips und Fritten und trinkt aus Pappkartons und Dosen lauwarme Flüssigkeiten. Die Sorgen des Alltags werden von den Problemen der Haarpflege und der Müllentsorgung verdrängt. Schlimmer als die Unannehmlichkeiten der Körperhygiene und den fürchterlichen US-Metallern mit ihren Vokuhila-Matten sind aber immer noch die anderen Festival-Besucherinnen und -Besucher! Sie bejubeln die bekloppte Hardrock-Truppe mit den lächerlichen Schnauzbärten, während sie bei DER Reunion schlechthin (PAIN DESIRE in Originalbesetzung mit Luke Harrington am Bass!) neben dir in der ersten Reihe stehen und rumnörgeln: Wann hört dieser Lärm endlich mal auf? Ach, Angela. Aber hier ist ja der einzige schattige Platz! Hach, ist das ungemütlich. Nein, wirklich aber auch.

Festivals sind besonders doof, wenn man sie alleine besucht. Erst erliegt man der Versuchung und kauft sich eine Brasilien-Import-LP, die man dann den lieben langen Tag mit sich rumschleppen muss. Dann holt man sich einen Sonnenbrand, weil auch Lichtschutzfaktor 20 nach einigen Stunden nichts mehr bringt. Schließlich kommt der heiß ersehnte Auftritt, wegen dem man die ganzen Strapazen überhaupt in Kauf nimmt. Wegen Verzögerungen im Zeitplan müssen jedoch zwei Lieder aus dem Programm gestrichen werden (darunter die Kult-Hymne Dark! Dark! Dark! Dark!, schnüff). Danach ist man aber trotzdem glücklich und läuft mit einem debilen Grinsen (Sonnenstich im Frühstadium) planlos über das Festivalgelände. Eigentlich wäre jetzt der beste Zeitpunkt, um nach Hause zu fahren. Doch später spielen ja noch CANDLEMASS und SAVATAGE. Beide Bands werden zwar niemals so genial sein wie PAIN DESIRE, doch die schwäbischen Gene in einem sind stärker. Also versucht man, seinem Leben einen Sinn zu geben, und begibt sich zu dem Zelt, wo gerade Jörg Michael sein erstes Solo-Album Bumm Bumm vorstellt und Autogramme gibt. Man stellt sich an und wartet geduldig, bis der Vordermann seine komplette Sammlung signiert bekommen hat, um dann panisch festzustellen, dass man gar keine CD zum Unterschreiben zur Hand hat. Einen Moment lang bewegt sich die Hand zur Tüte mit der heiligen Import-LP. Doch dann gewinnt die Vernunft, man murmelt verlegen, man gehöre zu dem vorigen Typen, der bereits eifrig dabei ist, seine Sammelstücke allesamt neu einzuschweißen. Aber Alpha & Omega ist wirklich ein verdammt geiler Song, sagt man noch im Weggehen und erntet ein freundliches Danke! dafür. Das ändert jedoch nichts daran, dass man sich mies fühlt und am liebsten im Boden versinken würde. Dieser Wunsch erfüllt sich dann auch beinahe, als plötzlich Lucas Thörsen-Trullhansen auftaucht und eine Horde japanischer Fans sich auf ihn stürzt. Schließlich ruft Martin auf dem Handy an, meint er sei jetzt auch da. Die Stimmung bessert sich, bis plötzlich der Akku streikt und Martin verstummt. Eine Stunde lang sucht man vergeblich nach Martin. Dann begibt man sich nach vorne, weil ja CANDLEMASS als nächste Band auf dem Programm stehen. Doch statt Messiah Marcolin betritt lediglich einer der Organisatoren die Bühne, der mit Bedauern bekannt gibt, dass die Doom-Legende sich leider kurzfristig aufgelöst hat. Als Ersatz kündigt er DESTRUCTION an. Stoisch erträgt man den Lärm eine Stunde lang. Schließlich räumen Schmier und Co. die Bühne und die Roadies hängen ein riesiges SAVATAGE-Banner auf. Mitten im Set der Florida-Jungs bricht die Bühne ein. Wo eben noch Jon Oliva hinter seinem Keyboard stand, klafft ein gewaltiges Loch. Die ganze Sache ist selbstverständlich nur ein Showeffekt, den die Band extra für das Festival einstudiert hat. Ebenfalls exklusiv für diesen Anlass spielen SAVATAGE alle Stücke vom legendären Streets-Album – in alphabetischer Reihenfolge. Man hätte natürlich gerne auch Hall Of The Mountain King, Sirens und Gutter Ballet gehört, aber man kann eben nicht alles haben. Direkt im Anschluss stehen auf einmal CANDLEMASS auf der Bühne, die sich spontan wiedervereinigt haben und doomig ihre 10. Versöhnung feiern. Doommops Messiah Marcolin fällt leider schon beim dritten Song in das Loch, das Jon Oliva auf der Bühne hinterlassen hatte. Unterdessen zieht ein Gewitter auf, das sich wenig später entlädt und den Platz in eine riesige Schlammpfütze verwandelt. Der Riese neben einem stört sich nicht daran und springt weiter im Takt auf und ab. Panisch erfasst einen der Gedanke: Flucht! Auf dem Weg zum Parkplatz hört man noch die ersten Töne des Headliners, der freilich schon längst nicht mehr true ist, sondern nurmehr ein Sklave des Mainstreams. Inzwischen ist es dunkel, man kann die eigene Hose nicht mehr vom Weg unterscheiden. Es ist kalt und man hat sich verlaufen. Und unwillkürlich kommt man zu der Erkenntnis: Festivals sind doof.

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