Dem Phänomen Female Fronted auf der Spur

Meine Obsession fürs Weibliche bei meinem Musikgeschmack besorgt mich! Was bewegt mich dazu, dermaßen eindimensional dem "Östrogen-Metal" die Stange zu halten und einer Band mit dem gewissen weiblichen Touch den Vorzug gegenüber Gruppen zu geben, die ausschließlich von meinen Geschlechtsgenossen gebildet werden?
Gleich doppelt motivierend: LUMSK mit Stine Mari Langstrand (Vocals) und Siv Lena Waterloo Laugtug (Violine)

Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als ich jegliche Form von Heavy Metal für unwürdig gehalten habe, die im Intrumentenverbund ein Keyboard oder – noch schlimmer – eine Frau im Line-Up hatte. Das konnte doch gar kein Metal sein, so meine bornierte, chauvinistische Meinung damals. Heute – man will es kaum für möglich halten – bin ich dem Charme und Reiz der Damen am Mikro vollends verfallen.

Dabei mache ich kaum mehr Unterschiede, ob es sich um poppige Trällerstimmchen, wilde Rockröhren mit Mordsstimmvolumen, zart besaitete Opern-Diven oder extravagante Metal-fremde Sängerinnen handelt. Alle habe ich in mein Herz geschlossen und pirsche mich seitdem im internen Redaktionssystem immer wieder überraschend an den Promo-Pool heran, um mir die wöchentliche Dosis an Östrogen-Metal zu verschaffen. In letzter Zeit nimmt dieses an purer Geschlechtlichkeit urteilende und filternde Verhalten überhand und ich lege nicht einmal noch so viel Wert darauf, dass das weibliche Bandmitglied vor dem Mikro stehen muss. Egal ob Bass, Gitarre, Keyboard, Drums oder Geige – nur her mit den Mädels…

All das stiftet bei mir selbstredend Verwirrung. Diese Obsession fürs Weibliche bei meinem Musikgeschmack besorgt mich, treibt mich zu immer neuen Theorien und Ursachenforschungen, die völlig verwirrende Gedankenansätze mit sich bringen. Was bewegt mich tatsächlich dazu, einer Band mit dem gewissen weiblichen Touch den Vorzug gegenüber Gruppen zu geben, die ausschließlich von meinen Geschlechtsgenossen gebildet werden? Ich habe mir eine Reihe von Theorien zurecht gelegt, schließlich muss ich dem ehemaligen truen und einzig wahren Metal-Fan in mir Rede und Antwort stehen, sollte sich dieser – wider Erwarten – doch wieder einmal zu Wort melden.

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Der Musikgeschmack kann sich wie jede Art von Geschmack nun einmal ändern.

Der Gereifte
Es wäre eine plausible Erklärung, wenn ich sagte, meine Vorliebe für Female Fronted-Bands hätte etwas mit meinem gereiften Musikgeschmack zu tun. Ja, Geschmäcker verändern sich nun einmal – nicht nur musikalisch. Konnte ich im kulinarischen Bereich früher Spargel nicht ausstehen, so verschlinge ich heute diesen gratinierten Spargel in Schinkenröllchen mit Käse und Béchamel-Sauce überbacken beinahe kiloweise. Und bei der Musik verhält es sich nun einmal ähnlich. Doch erklärt dieser Reifungsprozess das schiere Suchtverhalten für Frauen im Heavy Metal-Business? Ich esse ja auch nach wie vor gerne Pizza, Reisfleisch oder Tafelspitz mit Semmelkren – und nicht nur Spargel (einmal davon abgesehen, dass dieser ohnehin nur für wenige Wochen wirklich leistbar ist).

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Oder bin ich doch bloß ein Voyeur? Wer könnte es mir bei Vibekes Anblick verübeln?

Der Voyeur
Doch vielleicht sind die Motive dafür auch von niederer Natur, schließlich ist man ja auch nur ein Mann und verliert gerne seine Augen in den Dekoltees von Vibeke, Floor und Co. Da nimmt man dann die weibliche Stimme im Vorbeigehen – quasi als Alibi-Aktion – mit oder hört sie gar nicht mehr, nachdem man total dem Augenflirt mit Simone verfallen ist oder sich vom lasziven Tanz Cristinas umgarnt fühlt. Ja, diese Promobilder geben schon etwas her: Frontdame auf dem Klavier liegend, Sängerin mit wallendem Kleid auf dem Boden sitzend, Girlie im Gothic-Style verrucht und sündig in die Kamera blickend. Doch rechtfertigen diese Testosteron-gesteuerten Basis-Instinkte den sprunghaften Musikgeschmack? Man kauft sich ja auch nicht die neue Schwarzkopf-Haartönung, nur weil einem die Frau aus der Werbung so gut gefällt – und schaut schon gar kein Synchronschwimmen, nur weil sich dort die Athletinnen in knappen Badeanzügen zeigen.

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Oder träumen wir von der großen musikalischen Karriere?

Der Vater
Oder ist es der väterliche Ehrgeiz, der mich treibt? Will ich den Female Fronted Metal mit meinen aus der rosaroten Brille geschilderten Reviews derart salonfähig machen, dass Frauen im Metal keine Ausnahmeerscheinung mehr sind, sondern viel mehr zum bangenden Alltag gehören als reine Männerbands. Und das nur mit dem Ziel vor Augen, dass es meine beiden Töchter einmal einfacher im Metal-Business haben werden? Klar, ich erziehe meine Kinder schon zum richtigen Musikgeschmack. Eure Mutter hört BON JOVI? Raus mit dem Schmafu, rein mit ordentlicher Musik! Da wird dann zu LUMSK das Tanzbein geschwungen, bei MORTAL LOVE mitgesungen und bei ARCH ENEMY fliegen die Ponys und Zöpfe. So soll es sein – Musikerzeihung beginnt schon im Kindesalter – und irgendwann erhoffe ich mir, die Ernte für diese Bemühungen einfahren zu können, wenn die Zwei dann erfolgreich ihre Frau stehen und Österreich zum Nabel des Female Fronted Metals machen werden.

Der Emanzipierte
In dieser Rolle gefalle ich mir wohl am besten: der Frauenversteher, der Mann, der für die Rechte der Frauen auf die Barrikaden steigt, derjenige, für den Vorsätze wie Halbe Halbe (also Arbeitsteilung im Haushalt) nicht bloße Worthülsen sind. Natürlich sollen auch Frauen die gleichen Chancen und den gleichen Lohn am Metal-Arbeitsmarkt bekommen. Die IG-Metal sollte dafür ein eigenes Komitee gründen, um diese Rechte juristisch zu verankern. Nur wenn wir uns alle zusammentun, werden die Frauen mit gleichem Respekt behandelt wie ihre männlichen Kollegen. Ein männlicher Vorkämpfer für die Rechte der Frauen? Das ist wohl genauso absurd, wie ein männlicher Frauenminister (Hoppla, den gab es ja tatsächlich in Österreich).

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Versucht sich etwa ein dominantes X-Chromosom bei mir Gehör zu verschaffen?

Die Frau im Manne
Oder schlummert in mir eine Frau, die sich durch den Musikgeschmack Gehör zu verschaffen versucht? Will ich durch die Musik, die mir ja in den meisten Fällen durch Mark, Bein, Gehirn und Seele geht, dasjenige in mir wecken, das ansonsten an den Grenzen der eigenen Vorstellungskraft, der Gesellschaft oder des Muts anstehen würde? Wer sollte es mir verübeln? Gewissen weiblichen Attributen nachzueifern, ist ja an und für sich keine schlechte Sache. Wie Amanda singen, wie Morena aussehen, wie Tarja Geld verdienen zu können – ja, so ließe es sich schon ganz gut leben. Doch, lassen wir uns kein X für ein U vormachen – einen XX-beliebigen Chromosomensatz kann man nicht einfach durchs Lauschen von Musik bekommen, entweder man hat ihn oder man(n) hat ihn eben nicht.

Der Musikfreund
Im Endeffekt wird es aber doch die einfachste Erklärung sein, die mich dazu bewegt, so viele Femals Fronted-Bands ständig in meiner Playlist zu führen: da gibt es jede Menge Bands, die einfach gute Musik machen. Dass eine weibliche Stimme für den einen mehr oder weniger Metal ist, kann Fans der genannten Bandkonstellation egal sein – mir muss es gefallen – und das tun sie, die Phänomenalen Female Fronted Metal-Bands.

Photos: Stein-Rune Kjuul/LUMSK, pixelquelle.de, TRISTANIA, BWLinz

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