RIOT: Zurück in die Zukunft

Mark Reale erzählt über abgesagte und nicht abgesagte Tourneen, das neue Album "Through The Storm" und verrückte Texaner.

Vor über 25 Jahren veröffentlichte eine junge Band aus New York ihr Debütalbum mit dem Titel Rock City. Im Laufe ihrer Karriere erlebten RIOT dann sämtliche Höhen und Tiefen, die man sich nur vorstellen kann: 1981 das bahnbrechende Fire Down Under-Album, 1984 die Auflösung, 1988 eine spektakuläre Reunion inklusive Majordeal, etliche hochklassige Alben, abgesagte Tourneen und der ominöse Tod von ex-Sänger Rhett Forrester in den Neunzigern und im Jahr 2002 nun nach drei Jahren wieder einmal ein neues Album namens Through The Storm. Auf letzterem lag dann auch der Hauptaugenmerk meines Telefonats mit Bandkopf und Metalurgestein Mark Reale, der sich als sehr ausgeglichener und auskunftsfreudiger Gesprächspartner entpuppte.

Zuerst einmal bin ich froh und erleichtert, dass RIOT noch ein Album aufgenommen haben nach dem Ausstieg von Bobby Jarzombek und den abgesagten DIO-Gigs in den Vereinigten Staaten. Ich hatte schon befürchtet, dass du RIOT aufgegeben hast um dich ausschließlich auf WESTWORLD zu konzentrieren. Wann habt ihr denn mit den Arbeiten an eurer neuen CD Through The Storm begonnen?

Nun, das war schon vor einer ganzen Weile. Weißt du, die ganzen Storys über RIOT und WESTWORLD, die kursierten, sind so nicht wahr. Ich weiß nicht, wie es überhaupt dazu kam. Wir hatten einige Probleme, als wir von der Europa-Tour 2000 nach Hause kamen und dann diese Tour in den Staaten mit DIO spielen sollten. Doch wir konnten es aus mehreren Gründen nicht tun. Grund eins war, dass wir ziemlich pleite waren, als wir von Europa zurückkehrten, und dass es Probleme mit dem Promoter gab. Wir bekamen keine Zusicherungen, so dass es für uns eine sehr wackelige finanzielle Angelegenheit war. Wir wollten die Tour spielen. Alle waren wir dann enttäuscht, denn es wäre eine tolle Sache gewesen in den Staaten zu touren. Wir hatten uns schon darauf gefreut, aber es wäre möglicherweise ein verheerendes finanzielles Desaster geworden. Ich wollte nicht in die Situation geraten, dass wir das Album aufnehmen und dabei noch die ganzen offenen Rechnungen bezahlen müssen. Dazu kommt die Tatsache, dass ich nichts überstürzen wollte. Ich wollte nicht gleich Verpflichtungen für eine weitere Tour eingehen, denn die vorhergehenden Tour in Europa mussten wir mit einem Ersatzschlagzeuger bestreiten, der in letzter Sekunde eingesprungen war, da Bobby [Jarzombek – Anm. d. Autors] ausgestiegen war. Er wusste lange vor der Europa-Tour, dass er mit HALFORD beschäftigt sein würde, aber wir hatten dann diesen Kerl [Kenny Rhino Earl – Anm. d. Autors] von, wie heißt die Band, MANOWAR, um in Europa mit uns zu spielen. Und der hat uns dann in der Woche davor sitzen lassen. Es war bereits alles geklärt, als sein Manager uns anrief und uns ein Art Ultimatum wegen des Geldes stellte. Es war ein Desaster und wir hätten beinahe alles absagen müssen. Aber dann sprang dieser Kerl aus L.A. ein [Pat Magrath – Anm. d. Autors], mit dem wir drei, vier mal vorher probten. Er spielte nach Bobbys Notenblättern, und so konnten wir den europäischen Teil der Tour dann absolvieren. Als die DIO-Tour dann anstand, befanden wir uns nicht nur in einer sehr riskanten finanziellen Lage, sondern wir hatten auch immer noch keinen richtigen Schlagzeuger. Es war für alle wirklich eine große Enttäuschung, weil wir gerne dabei gewesen wären.
Das war dann auch mit ein Grund, warum es so lange gedauert hat um mit dem Album aus den Startlöchern zu kommen. Denn Mike DiMeo war dermaßen sauer, dass ich Monate gebraucht habe um ihn wieder zu motivieren, so dass wir wieder Songs schreiben und Inspirationen umsetzen konnten. Das war die eine Sache. Und dann mussten wir natürlich endlich einen Schlagzeuger finden. Wir mussten uns entscheiden, ob wir einen permanenten Ersatz suchen sollen oder einfach jemanden um das Album einzutrommeln. Eine Weile habe ich nach einem festen Ersatz gesucht, aber andererseits wusste ich, dass die Situation mit Bobby nicht immer so sein würde wie bei der DIO-Sache, und dass wir irgendwann wahrscheinlich wieder mit ihm spielen können. So entschlossen wir uns einen Schlagzeuger für das Album zu suchen. Ich kannte Bobby Rondinelli, mit dem ich mich sehr gut verstehe und mit dem ich zuvor schon zusammengearbeitet hatte, und wir ließen ihn das Album einspielen.
Es hat also lange gedauert, bis die Sache anlief und wir die Songs endlich beisammen hatten. Im März 2001 habe wir dann angefangen einige Spuren aufzunehmen, aber es gab zwischendurch große Lücken wegen des Songwriting-Prozesses.

Beim Anhören des neuen Album fiel mir als Erstes auf, dass ihr nicht mehr so viele Speed Metal-Songs wie auf den vorigen CDs habt. War es eine bewusste Entscheidung mehr Midtempo-Sachen zu schreiben, oder fehlten die Ideen für Uptempo-Stücke?

MarkIn gewisser Weise war es eine unbewusste Entscheidung. Schon seit Thundersteel hatten wir diese Mentalität, dass wir bei einem neuen Album soundso-viele solche Songs haben müssen, soundso-viele richtig schnelle Songs. Und ich denke bei Sons of Society, unserem letzten Album, begann das alles monoton zu werden. Obwohl man immer seinen Wurzeln treu bleiben sollte, was ich mit RIOT stets versuche, muss man sich weiterentwickeln. Sobald man anfängt zuviel nachzudenken und man sich hinsetzt und sagt, wir müssen das genau so und so machen, wird die ganze Sache fade, denke ich. Bei den Alben, die überall als die Meilensteine von RIOT angesehen werden, also Fire Down Under und Thundersteel, gab es keinerlei Hintergedanken. Fire Down Under war so, wie wir zu diesem Zeitpunkt waren, als wir die Songs geschrieben haben. Bei Thundersteel war es im Prinzip genauso. Natürlich hat sich das Zusammenspiel mit Jarzombek, Tony Moore und Don Van Stavern im Songwriting wiedergespiegelt, aber es war kein bewusster Prozess. Es begann bewusst zu werden in der Zeit um Inishmore, und als wir dann Sons of Society aufnahmen, wurde wirklich alles genau ausgearbeitet, jede Note, jedes Gitarrensolo. Beim neuen Album habe ich nun versucht, genau dies nicht zu tun. Die stilistische Ausrichtung war zwar gegeben, aber ich habe versucht, nicht alles im Voraus festzulegen. Es war eine Art Experiment um zu sehen, was dabei herauskommt.

Was typisch für RIOT ist, und was mir auch besonders seit Mike DiMeos Einstieg sehr gut an RIOT gefällt, sind die eindrucksvollen Gesangsarrangements, die trotz der Gitarrenarbeit immer als erstes hervorstechen. Schreibst du die Gesangslinien, arbeitest du mit Mike zusammen oder schreibt er sie alleine?

Gewöhnlich arbeiten wir zusammen, wobei er sich aber auch seit seinem Einstieg 1992 enorm entwickelt hat. Deshalb läuft es inzwischen meistens so ab, dass ich eine musikalischen Idee habe, – immer schon mit einer Melodie, das passiert von ganz alleine – welche ich ihm zeige. Ich erkläre sie ihm, zeige ihm die Akkordfolge und nehme es ihm auf Kassette auf oder so. Er schreibt dann gewöhnlich, in etwa 90 Prozent der Fälle, seine eigenen Melodien dazu. Manchmal gefällt ihm aber auch eine meiner Ideen, die er dann zum Teil übernimmt. Auf den letzten Alben hat Mike einen Großteil der Texte und der Gesangsmelodien geschrieben. Er hat sich diesbezüglich also wirklich gemacht und wird sich sicher über das Lob freuen.
Wir haben ja lange gebraucht um ihn in die Band zu integrieren, denn als er neu dazugekommen war, hatten wir einen schweren Stand, besonders in Japan, wo die Leute an Tony Moore gewöhnt waren, Mikes Vorgänger mit der hohen, hohen Stimme. Ich persönlich mag Mikes Stil aber sehr, weil er sehr gefühlvoll ist.

Kannst du mir etwas über den Song Essential Enemies erzählen? Er unterscheidet sich mit seinem verzerrten Gesang und den fehlenden Melodiegitarren ja doch von den anderen Albumtracks und auch von allem, was ihr früher aufgenommen habt.

Das war wieder etwas, das aus dem Prozess des nicht-zuviel-Denkens heraus entstand. Es war ein rhythmischer Einfall von mir und Mike hatte eine Gesangsmelodie für den Vers. Außerdem wollte ich speziell bei diesem Song sehen, wohin ich Mike musikalisch drängen kann, indem ich ihm Akkordwechsel gebe, die nicht dem gewohnten Standard entsprechen. Ich wollte sehen, wohin er damit kommt. Bei dem verzerrten Gesang dachten wir uns, er wäre in gewisser Weise cool und würde dem, was Mike singt, mehr Attitüde geben.

Beim letzten Stück, Here Comes The Sun, habt ihr viel mit akustischen Gitarren gearbeitet, so wie auch früher schon bei Santa Maria zum Beispiel. Kannst du dir vorstellen eines Tages die E-Gitarre zur Seite zu legen und stattdessen akustische Stücke zu spielen, so wie es Ritchie Blackmore mit BLACKMORE´S NIGHT ja schon vor fünf Jahren getan hat?

Nein. Momentan mag ich E-Gitarren immer noch sehr, denn ich für meinen Teil kann ich mit ihnen wesentlich mehr ausdrücken. Natürlich liebe ich Akustikgitarren, aber grundsätzlich spiele ich lieber E-Gitarre, denn es ist tiefgreifender und ich kann damit mehr zum Ausdruck bringen.

Euer Bassist Pete Perez hat ja bereits auf Sons of Society ein Lied geschrieben (Somewhere). Hat er auch etwas zum neuen Album beigetragen?

Ja, für Burn The Sun schrieb er einen Teil. Ich hatte die Akkordfolge, aber wir brauchten noch einen Hauptriff für das Stück. Das habe ich ihm erzählt und er hatte dann einen passenden Teil.

RIOT

Jetzt haben wir schon über Pete Perez und Bobby Jarzombek gesprochen. Was hältst du von der SPASTIC INK-CD (Ink Complete), auf der die beiden mitgespielt haben?

Das ist unglaublich, was da gespielt wird! Ich finde, dass Bobby und Pete da wirklich ihre Talente als Musiker ausschöpfen können. Bei RIOT gibt es zwar manchmal ähnliche Sachen, die dann aber grundsätzlich songdienlich sind. SPASTIC INK stellt hingegen den Höhepunkt ihres spielerischen Könnens dar.

Die nächste bezieht sich auch auf instrumentale Musik. Ich habe mich immer gefragt, wessen Idee es vor 13 Jahren war eine Coverversion von Racing With The Devil On A Spanish Highway aufzunehmen.

Das war im Grunde meine Idee. Das Album The Privilege of Power war ja sehr experimentierfreudig mit lauter verrückten Sachen, Bläsern und lauter so Sachen.

Und wie hat die Band darauf reagiert?

Sie mochten es, denn genau darum ging es in der Thundersteel/The Privilege of Power-Zeit. Bis ich mit den drei Jungs zu tun bekam, war RIOT im Grunde geradliniger Hardrock. Jarzombek und van Stavern waren dann an den technischsten Sachen interessiert und ich selbst war schon immer jemand, der das ebenfalls mochte. Wir sind also quasi verrückt geworden! Als wir dann The Privilege of Power machten, wollten wir sehen, wie weit wir als Heavy Metal-Band gehen konnten. Also wie schnell können wir das spielen? Wie hoch kann der Gesang gehen? Wäre es nicht verrückt eine Coverversion von einem Al DiMeola-Stück aufzunehmen?
Das hat dann auch ziemlich gut geklappt. Wir haben es auch live gespielt, zumindest einen Teil davon, und ich die Leute haben es wirklich gut aufgenommen.

Auf der WESTWORLD-Homepage hast du erwähnt, dass du an einer Sammlung von raren RIOT-Demos und Liveaufnahmen arbeitest. Gibt es da konkrete Pläne oder war das nur eine Idee? Um was für Stücke handelt es sich dabei?

Ich möchte das auf alle Fälle veröffentlichen. Im Laufe der letzten Jahre sind mir einige Sachen wieder in die Hände gefallen, von denen ich denke, dass sie interessant wären für echte RIOT-Fans. Da gibt es meine allerersten selbstgeschriebenen Stücke, die wir damals in einem Studio auf einer Vier-Spur-Maschine als Demo aufgenommen haben. Die Qualität der Aufnahmen ist erstaunlich gut. Es gibt auch Aufnahmen davon, wie Mike DiMeo, ich und die anderen Jungs 1994 in einem Studio in Manhattan einfach nur herumgespielt haben. Insgesamt habe ich davon anderthalb Stunden Material.
Nachdem RIOT sich 1984 aufgelöst hatten, lebte ich eine Weile in Texas, wo ich dann auch Jarzombek und van Stavern und so kennen gelernt habe. Damals hatte ich dort eine Band, NARITA, von der ich auch Demoaufnahmen wiedergefunden habe, auf denen NARITA Thundersteel und ein paar andere Songs spielen.
Es gibt auch noch viel Livematerial aus der Zeit um 1980/81 aus England, bei dem die Qualität allerdings nicht so gut ist. Ich bin dabei das alles zusammenzutragen und werde zusehen, dass ich Metal Blade dafür gewinnen kann, damit es veröffentlicht wird.

Nun zu einer etwas seltsamen Frage. Auf besagter Homepage las ich unter anderem auch, dass deine Lieblingsfarbe blau ist.

Ja.

Warum gibt es dann kein RIOT-Album mit einem blauen Titelbild?

ThroughNun, das liegt im Grunde daran, dass ich das den Künstlern überlasse. Wobei das neue ist ja schon irgendwie blau!

Wenn wir schon bei Titelbildern sind, welches ist dein Lieblingscover von RIOT?

TheThe Brethren of The Long House hat mir da sehr gut gefallen. Das neue finde ich auch klasse. Ich wusste anfangs nicht, was ich mit dem Titel anfangen sollte. Die Idee zu dem jetzigen Bild kam dann im letzten Moment. Das Bild von dem Sturm vorne auf der CD habe ich 1989 in Texas geschossen. Ich habe es dann wiederentdeckt und dem Grafiker gegeben, damit er etwas daraus macht.

Bist du jemals auf Inishmore gewesen, seitdem ihr das gleichnamige Album rausgebracht habt?

Leider nicht.

Würdest du die Insel gerne mal besuchen?

Ja, sicherlich. Ich war im Mai erst in England für eine Festival-Show mit WESTWORLD, wo ich auch einen Haufen Iren getroffen habe. Das war in Manchester und einer dieser Iren flippte richtig aus wegen dem Albumtitel und so. Also ich würde wirklich gerne mal dorthin reisen.

Mit welchen drei Worten würdest du dich selbst beschreiben?

Zwanghaft, introvertiert und zurückhaltend.

Mark

Kannst du noch etwas über eure Pläne für die Zukunft erzählen? Existieren schon Tourpläne?

Hoffentlich können wir auf Tour gehen, aber momentan ist da offensichtlich noch nicht Festes geplant. Aber wenn das Album erschienen ist und gut ankommt, bin ich mir sicher, dass wir etwas mit Metal Blade in die Wege leiten können. Außerdem gibt es da noch eine Sache, die ich machen möchte. Wir haben 1998 eine EP aufgenommen, die exklusiv in Japan erschienen ist. Darauf sind zwei Stücke [15 Rivers und Red Reign – Anm. d. Autors], die wirklich gut sind, und die ich gerne in Europa und in den Staaten veröffentlichen würde; vielleicht auch wieder auf einer EP, hoffentlich schon bald nachdem unser neues Album erschienen ist. Ich spiele mit dem Gedanken noch zwei neue Stücke aufzunehmen, um sie dann alle zusammen auf eine EP zu packen. Ich werde wohl bald mit dem Songwriting beginnen, um nach der langen Pause wieder verlorenen Boden gut zu machen. Ich arbeite auf eine Veröffentlichung im Frühjahr hin, denn da finden die ganzen guten Tourneen und Festivals statt.

Zum Schluss noch eine Frage bezüglich WESTWORLD. Wird es noch lange dauern, bis das neue Album Cyberdreams erscheint?

Momentan ist ein Termin Ende September im Gespräch, aber ich weiß nicht, ob es dabei bleibt. Das Album wird gerade noch abgemischt, sollte aber in einer Woche fertig und gemastert sein. Vielleicht wird es auch Oktober.

Wie unterscheidest du eigentlich beim Liederschreiben zwischen RIOT und WESTWORLD?

Ich muss schon immer ein bisschen umdenken, aber der entscheidende Unterschied liegt darin, ob ich mit Mike DiMeo oder Tony Harnell zusammenarbeite. Tony Harnell kommt aus einer komplett anderen Richtung. Die Ideen, die ich da habe, kann ich bei RIOT nicht verwenden, denn ich achte bei RIOT immer darauf, dass wir unseren Wurzeln treu bleiben. Mit Harnell ist alles etwas mehr pop-orientiert und ich habe inzwischen auch gelernt, was für ein Sänger er ist. Deshalb denke ich da wirklich bis zu einem gewissen Grad anders, wenn ich etwas schreiben muss.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit dem neuen Album Through The Storm!

Danke!

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