SLIPKNOT, AMERICAN HEAD CHARGE, DOWN THE SUN: 27.1.2002, Böblingen, Sporthalle

Die "Lieblinge" unseres Captains liefern ein Hammerkonzert ab. Veni – Vidi – Destructi!


Dank einer Reifenpanne und verfrühtem Konzertbeginn kam ich leider nicht in den Genuss der Opener DOWN THE SUN, von deren Gig mir auch nichts Nennenswertes erzählt wurde. Als ich bei den ersten Klängen von AMERICAN HEAD CHARGE die nicht gerade gemütliche Böblinger Sporthalle betrat (man wartet irgendwie immer darauf, dass ein paar bärbeißige schwäbische Ranzenturner erscheinen, um einem klarzumachen, dass ihnen das Konzert egal sei, nun seien ihre Trainingszeiten und die 2000 Zuschauer sollten sich zum Teufel scheren…), kam ich mir zunächst mal ziemlich alt vor, denn das Durchschnittsalter des Publikums lag bedeutend niedriger als bei anderen Metalkonzerten. SLIPKNOT und Konsorten scheint das zu gelingen, woran andere Vertreter härterer Musik in letzter Zeit zunehmend scheitern: die Jugendlichen in Massen für derbe Klänge zu interessieren und ihnen gewissermaßen den Soundtrack zur Rebellion gegen Eltern, Schulzwänge und die eigenen im Aufruhr befindlichen Hormone zu liefern. Man kann darüber schmunzeln oder lästern, man kann aber auch genausogut den Hut ziehen vor SLIPKNOT, denn ohne Nachwuchs stirbt jede Szene aus und endet wie die eingangs erwähnten Ranzenturner… und was für ältere Semester eben ihre erste DEEP PURPLE-Show, das erste METALLICA-Konzert oder die erste CANNIBAL CORPSE-Volldröhnung war, stellte dieser Abend nun eben für viele der anwesenden Jungspunde dar.

AMERICAN HEAD CHARGE durften einen auffällig langen Set spielen, den das Septett mit viel Show und eher mittelprächigem Songmaterial bestritt. Natürlich besteht AMERICAN HEAD CHARGE aus gaaanz doll abgedrehten Psycho-Gestalten, sei es der mit einer halb Einstein-hat-inne-Steckdose-gelangt-Frisur, halb mit einer Glatze gesegnete Keyboarder, der sich mit diesem immer wieder prügelnde andere Keyboarder oder der mit MISFITS-lastigem Iro und Posing auffallende Gitarrero. Ein verdächtig nach Panzerdivision MARDUK ausschauendes Backdrop, bewegliche Keyboards und umgedrehte amerikanische Flaggen komplettierten die Bühnenoptik, die deutlich mehr im Mittelpunkt stand als die zerfahrenen, unreifen Kompositionen der Amis. Wüstes Nu-School-Geriffe und pseudopsychopathische Einlagen wechselten sich mit Alibimelodien ab, von Liedaufbau, Spannungsbogen und Refrainhooklines hingegen keine Spur. Einzig Just So You Know blieb ansatzweise hängen, ansonsten herrschte dröges Einerlei, was live jedoch den Anwesenden in der Mehrzahl nicht viel auszumachen schien, denn schon jetzt kochte der Moshpit, und zahlreiche gereckte Fäuste verabschiedeten AMERICAN HEAD CHARGE am Ende ihres Auftritts. Den Beigeschmack eines Hypes konnten sie dennoch bei mir nicht abschütteln, zumal nach dem Auftritt noch eine Promo-CD mit einem Video an das minderjährige Publikum ausgeteilt wurde… einem Frei-ab-18-Video natürlich, gaaanz doll böse, versteht sich. Also noch kein Frontalangriff, eher eine gemäßigte Breitseite.

Ein Glück, dass SLIPKNOT im Anschluss bewiesen, dass sie aus einem ganz anderen Holz geschnitzt sind. Als der extra aufgehängte mit dem S-Tribal versehene Vorhang zu Beginn von People=Shit fiel, legten die neun Maskenträger aus Iowa los wie die Berserker. Was bei AMERICAN HEAD CHARGE noch gekünstelt und aufgesetzt wirkte, war hier authentisches Ausrasten zu einem völlig entfesselten Riffinferno, unterstützt von einer perfekten Lichtshow und ausgeklügelten Bühnenaufbauten. Für die Fans gab es kein Halten mehr, in den ersten Reihen stapelten sich die Leute schon fast, während im restlichen Teil der Halle bis durch zum Mischpult ein riesiger Moshpit aus bangenden, crowdsurfenden, hüpfenden und Pogo tanzenden Leibern losbrach. So hatte ich mir eigentlich immer ein SLAYER-Konzert vorgestellt! Brachial, direkt und mit der Präzision und Tightness eines Uhrwerks aus Toblerone-Country warfen SLIPKNOT einen Hassbrocken nach dem anderen den willigen Fans zum Fraß vor, die es mit Begeisterungsstürmen dankten, welche zumindest in der ersten halben Stunde auf konstant höchstem Level verharrten. Egal, ob ein Song von Iowa oder dem Debüt stammte, SLIPKNOT gaben alles, damit die Intensität nicht ein Jota nachließ. Gitarrist Mick legte beim Bangen nur kurze Pausen ein, in denen er mit wahrlich bedrohlichem Blick die ersten Reihen musterte, ansonsten regierte pure Aggression, jeder der Musiker gab sich voll und ganz der Energie der eigenen Musik hin, selbst die nur wenig beschäftigten Percussionisten, die ihre Freizeit auf der Bühne mit wildem Rumgehopse auf ihren Trommelbergen, derben Backinggesängen und kurzen Ausflügen durch den Fotograben (um dem gelinde gesagt irritierten Verfasser beim Knipsen über die Schulter zu schauen…) zu nutzen wußten. Erst bei Gently kehrte kurz vergleichsweise Ruhe ein, und auch ein Schlagzeugsolo von Joey Jordanson gab Zeit zum Verschnaufen. Doch Durchhänger waren auch hier nicht auszumachen, das Drumsolo wurde mit einer choreografierten Bühnenhydraulik inszeniert, zunächst drehte sich das komplette Kit seitlich um die eigene Achse, um dann in die Höhe gehoben zu werden und dann Tommy Lee-mäßig nach vorne gekippt zu werden, doch statt dem Mötley Crüe-Salto drehte sich das Kit im 90-Grad-Winkel stehend, während ein Leuchtpentagramm aufflackerte. Starke Show! Anschließend drückten SLIPKNOT wieder auf die Tube, Disasterpiece und The Heretic Anthem (beim Refrain mit netten Leucht-666-en untermalt) ließen die Temperaturen sofort wieder in die Höhe schnellen, und Frontmann Corey, der übrigens viele Ansagen auf Deutsch machte, brachte eine zumindest mir neue Aktion: Seiner Bitte Setzt euch bitte hin kam so gut wie jeder nach anfänglicher Überraschung nach, um dann auf das Signal Jump the fuck up! endgültig alle Zurückhaltung aufzugeben und bedingungslos den kompletten Innenraum in ein höllisches Gewimmel von schwitzenden Leibern zu verwandeln. Ich muss schon sehr weit zurückdenken, wenn ich rausfinden will, wann ich das letzte Mal eine so bedingungslose Raserei – die dennoch nie in gefährliche Massenhysterie umschlug – miterlebt habe… eigentlich bis zu den ersten Death Metal-Konzerten meiner Jugend.

Womit wir wieder am Anfang wären. Man kann es sich einfach machen und SLIPKNOT in einer Reihe mit Dünnbrettbohrern wie LIMP BIZKIT eintüten, man kann sich aber auch die Mühe geben, genau hinzusehen, dann wird deutlich, dass hier eine Band herangereift ist, die mehr und vor allem härter ist, als uns Promomummenschanz und Vermarktung weismachen wollen. Apropos Mummenschanz: Bevor jemand die (live durchaus was hermachenden) Masken als Firlefanz kritisiert, sollte er sich genau überlegen, ob er auch nie auf einem KISS-, GUNS´N´ROSES- oder Black Metal-Konzert war. Und wenn ich da die Wahl habe, gehe ich jederzeit lieber zu SLIPKNOT, erst recht nach diesem mehr als beeindruckenden Konzertabend, dessen einziger Wermuttropfen war, dass bereits nach 75 Minuten finito war – angesichts von Eintrittspreisen um die 33 Euro ein bißchen zu wenig. Aber ich hoffe auf die nächste Tour, dann hoffentlich mit noch mehr Knallern wie Left Behind und New Abortion im Gepäck!



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