ICED EARTH: Live im Longhorn in Stuttgart am 05.02.2002

Fast drei Stunden Iced Earth in Hochform.

Es waren mal wieder richtig gute Voraussetzungen für ein enttäuschendes

Konzerterlebnis: Wegen des Stuttgarter Verkehrschaos und der nach wie

vor unsagbar schlechten Parksituation rund um das LKA kamen wir wieder

einmal erst in die Halle, als ICED EARTH bereits zu spielen begonnen haben. Immerhin war vor dem komplett ausverkauften LKA diesmal kein Schlange stehen angesagt – anscheinend wurden die Tore an diesem Abend ausnahmsweise mal rechtzeitig geöffnet. Doch die Freude wurde nicht größer, als wir uns mit dem Gedränge vor der Bühne konfrontiert sahen. Von hinten war absolut nichts zu sehen und ein ICED EARTH Konzert will man ja schließlich nicht unbedingt aus der Ferne erleben. Also war erst mal kämpfen angesagt, was sich aber dann absolut auszahlen sollte.

Von den äußeren Gegebenheiten zunächst etwas angepisst, war „Brainwashed“ – der erste Song, den ich so richtig mitbekam – ein ganz guter Einstimmer – und mit „Angel´s Holocaust“, „Stormrider“ (ich liebe es, wenn Jon Schaffer das Mikro übernimmt!!!) und „The Path I Choose“ konnte ein hervorragendes Konzert dann so richtig beginnen.

Was die groß angekündigten Bühnenaufbauten anging, so wurde recht schnell deutlich, wohin die Reise von ICED EARTH gehen soll: nämlich in die großen Stadien dieser Erde. Doch da die Band halt doch noch nicht den Status erreicht hat, den sie derzeit mit allen Mitteln anzustreben scheint, und die Bühne des LKA eben doch einen Tick zu klein für wirklich große Bühnenaufbauten ist, wirkten die vier Kulissenwände und die kleinen Laufstege etwas wie IRON MAIDEN für schlechter Verdienende. Und vor allem die erste Kulissenbemalung in Form von genieteten Stahlplattenwänden konnte zunächst nicht wirklich beeindrucken.

Aber egal, der gute Wille war da und was ICED EARTH an diesem Abend musikalisch ablieferten, war eh fast frei von jeglicher Kritik.

Ein knapp dreistündiges Programm in drei Blöcken war angekündigt und genau das bekam das Publikum auch geboten. Die beiden Umbaupausen wurden erfreulich kurz gehalten und somit war auch gesichert, dass die Stimmung währenddessen nicht abbrechen könnte.

Etwas überraschend war dann allerdings doch, dass ICED EARTH ihren Set mit dem Klassiker-Block, bestehend aus Songs der ersten drei Alben, starteten. „Burnt Offerings“ bekam dabei den geringsten Anteil beigemessen und so blieb es bei einem sehr gut gespielten „Brainwashed“.

Nachdem ich wohl „Iced Earth“ verpasst hatte, bekam ich mit „Curse the Sky“ auch noch einen Song vom Debüt zu hören, während neben den oben genannten drei Songs mit „Travel in Stygian“ – einer der besten ICED EARTH Songs überhaupt – auch noch das „Night of the Stormrider“-Album zum Zuge kam. Ein wirklich geiler erster Block, der durchaus noch eine ganze Weile länger hätte andauern können, zumal das restlos begeisterte Publikum mit dem alten Material der Band bestens vertraut war und so gut gebangt, gedivet und mitgesungen wurde.

Insgesamt scheinen die ICED EARTH-Fans eh mit dem Live Album „Alive in Athens“ einiges dazu gelernt zu haben und so gab es lautstarke MAIDEN-mäßige Leadgitarren-Mitsing-Parts, was der Band sichtlich Freude bereitete.

Kaum zehn Minuten, nachdem die dicken Vorhänge dann zugezogen wurden, gingen auch schon wieder die Lichter aus und die Sicht auf die neue Bühnendeko wurde freigegeben. Statt Stahl waren nun ägyptische Zeichnungen zu sehen und damit war auch schon klar, welcher Teil der ICED EARTH-History nun folgen sollte. Tatsächlich wurde den beiden Erfolgsalben „Something Wicked“ und „Dark Saga“ die längste Spielzeit eingeräumt und vor allem am Publikum war ganz deutlich abzulesen, mit welcher Epoche der größte Teil der Fans den Zugang zu ICED EARTH gefunden haben. „Burning Times“ wurde defakto als erster Song des zweiten Blocks gehörig abgefeiert, dem die Band ein hammerhartes „Vengeance is Mine“ nachfolgen ließ. Mit „Stand Alone“ und „The Hunter“ ging es ähnlich rasant weiter, wobei zweiter Song natürlich wieder ideal dazu geeignet war, lautstarke Chöre im Publikum erklingen zu lassen.

Die Zeit für eine Ballade war nun auch langsam gekommen und „Watching over Me“ wurde von den Fans dankend angenommen. Aber was war denn das? Habe ich da etwa Matthew Barlow´s Stimme bei den hohen Tönen versagen hören? Tatsächlich, da war ein Moment in dem man deutlich hören konnte, dass das langmähnige Rothaar wohl doch bereits stimmlich etwas angeschlagen war, wobei er den Rest des Sets jedoch mit Bravour meisterte. Kein wirklicher Schwächeanfall also, sondern einfach ein Ausrutscher einer Band, der man kleine Fehler gern verzeihen kann, wenn die Gesamtleistung so sehr zu überzeugen weiß, wie es an diesem Abend im

LKA der Fall war. Und spätestens beim zweiten Block war nun endlich auch so etwas wie Publikumsnähe zu spüren, hatte man beim ersten Teil des Konzerts doch leicht den Eindruck, als hätte sich eine gewisse Kühle breit gemacht, die vor einigen Jahren in einem kleinen Club wie z.B. in der Röhre in Stuttgart undenkbar gewesen wäre.

Instrumental waren ICED EARTH eh in Hochform und die Band zeigte, was für ein hochkarätiges Line-Up sie inzwischen beisammen hat. Erfreulich war es zu sehen, dass Basser James McDonouh also wieder mit von der Partie ist, da

er einfach hervorragend in die Band passt. Wahrhaft überraschend war

allerdings die Selbstsicherheit, mit der sich der inzwischen

kurzgeschorene Larry Tarnowski über die Bretter bewegte, astreine Soli hinlegte und eine ganze Menge an Ausstrahlung dazugewonnen hat. Sehr cool, zumal er tatsächlich auch neben Matthew Barlow der bewegungsfreudigste Bandteil auf der Bühne darstellte, wohingegen Jon Schaffer vermutlich aufgrund

seiner Rückenverletzung inzwischen den Toni Iommi mimt, was zu seiner Persönlichkeit jedoch hervorragend passt und ihm ein Plus an Ausstrahlung gibt. Weniger Blickfang, dafür aber umso treffsicherer, war Richard Christy am Schlagzeug, der sicher mit dafür verantwortlich war, dass die Band tighter als je zuvor wirkte.

Doch fahren wir im Programm fort. Denn die Frage, welche Triologie ICED EARTH denn nun spielen würden – „Something Wicked“ oder „The Suffering“ – wurde recht schnell mit „Scarred“ beantwortet, womit der Weg auf einen kleinen Höhepunkt in Formt von „A Question of Heaven“ geebnet war. Und wie erwartet kam gerade der letzte Song des „Dark Saga“-Albums verdammt gut an und Matthew Barlow konnte einmal mehr zeigen, zu welchen Höchstleistungen er fähig ist. Geil!

Eine Erholungspause sollte dem stimmgewaltigen Sänger also gerne gegönnt sein, was ihm durch das Instrumental „1776“ geboten wurde – von Jon Schaffer im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. Septembers angekündigt und zum ersten Mal von der Band ins Programm genommen.

Mit „I Died for you“ sah ich den zweiten Block dann eigentlich schon abgeschlossen, doch zur großen Freude des gesamten Publikums gab es dann tatsächlich auch noch die „Something Wicked“-Trilogie, womit die Stimmung ihren Höhepunkt fand. Nach knapp zwei Stunden metallischer Vollbedienung wollten die Fans keine Ermüdungserscheinungen zeigen und gingen noch mal richtig ab, was die Band dementsprechend auch wieder zurückgab. Und für das Riffing im Mittelteil von „The Coming Curse“ werde ich Jon Schaffer eh bis ans Ende meiner Tage dankbar sein, so geil wie an diesem Abend habe ich es aber bislang noch nie erlebt. Wahnsinn!

Der zweite Block war beendet, die Zeit für „das schlechte Album“ war also gekommen. „Horrorshow“ ist für mich als Album nach wie vor eine Enttäuschung und dementsprechend skeptisch blickte ich dem, was kommen sollte, entgegen.

Mit „Wolf“ wurde ich dann aber gleich mal wieder etwas unkritischer und mit „Damien“ war dann alle Voreingenommenheit wie weggefegt! Der absolute Höhepunkt des neuesten ICED EARTH-Werkes stellte sich zugleich auch als einer der Höhepunkte des gesamten Konzertabends heraus. Genau so mag ich die Band: düster, heavy wie Hölle, hart und atmosphärisch. Ein Song, auf den Jon zurecht stolz sein kann und der live ordentlich mächtig daher kommt. Muss man erlebt haben!

Leider, leider war der Rest des Gigs dann aber eher mit einem Chillout zu vergleichen, als mit einem energiegeladenen Abschlussfeuerwerk. Denn Songs wie „Jekyll & Hyde“, „Jack“ oder „Frankenstein“ wirkten im Gegensatz zu dem restlichen Material, das ICED EARTH an diesem Abend dem Publikum um die Ohren schmetterte, wie ein uninspiriert vor sich hin wehendes, laues Lüftchen. Es war also genug Zeit, um sich die nochmals umgebauten Kulissen zu betrachten, auf denen die Protagonisten des neuen Albums im Großformat als Galeriebilder dargestellt wurden. Doch auch die schwarzen Mäntel, die sich die Band inzwischen angelegt hatte (zu jedem Block gab´s auch neue Kleidung), waren ordentlich anzusehen, wodurch man wenigstens ein wenig was geboten bekam.

Man kann nur hoffen, dass ICED EARTH selbst auch gemerkt haben, dass das Publikum während des dritten Konzertteils merklich ruhiger wurde und die Stimmung auf keinen Fall derartig kochte, wie es gleich zu Beginn des Konzerts der Fall war.

Aber immerhin fand auch dieser Block mit dem MAIDEN-Coversong „Transylvania“ einen kleinen Stimmungsaufschwung und auch „Dracula“, unterlegt mit schönen Pyroeffekten (von denen es an dem Abend reichlich gab) kam nochmals gut an, bevor sich die Band dann auch vom Publikum verabschiedete.

Den Zugaberufe der Fans schenkten ICED EARTH dann aber recht schnell Gehör, wobei die Wahl mit „My Own Savior“ erneut recht überraschend ausfiel. „Da muss doch noch irgend ein Klassiker kommen“, haben sich sicherlich genug Leute gedacht, tatsächlich folgte dem „Something Wicked“-Song jedoch keine entsprechender Fortsetzung, so dass nach einer starken Show letztendlich doch mal Schluss war.

Insgesamt haben ICED EARTH an diesem Abend wirklich voll überzeugt. Selbst enttäuschte Fans wie ich konnten sich der geballten Ladung an hervorragenden Songs nicht entziehen und die Live-Show war ebenfalls vom Feinsten.

Jetzt muss beim neuen Label das heiß erwartete Wicked-Album raus kommen und dann will ich die Band noch mal in dieser Form live erleben.

Bilder von boxhamster

Total
0
Shares
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner