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TIAMAT: Ruf mal wieder Muttern an…

Anders Iwers erklärt, warum TIAMAT keine finsteren Gesellen mehr sein wollen. Und natürlich sollten auch andere Themen im Interview mit dem Basser zur Sprache kommen – die räumliche Trennung einer Band zum Beispiel – und was zum Teufel hat eigentlich der Album-Titel zu bedeuten?!

Wochenlang hatte ich mich auf TIAMATs neues Studioalbum Judas Christ gefreut. Zugleich befürchtete ich, dass es sich wie Skeleton Skeletron als Enttäuschung entpuppen könnte. Doch Johan Edlund und seinen Mannen gelang es diesmal, den für TIAMAT so typischen Spirit wieder besser einzufangen und zugleich dem Sound der Band neue Aspekte hinzuzufügen. Beim Interview mit Bassist Anders Iwers sollten jedoch auch andere Themen zur Sprache kommen…

Mein erster Eindruck von eurem neuen Material war, dass ihr wieder vermehrt auf ruhige, atmosphärische Elemente gesetzt habt. Wie kam es zu dieser Umbesinnung nach der doch eher direkt gehaltenen Skeleton Skeletron-Scheibe?

TIAMATNun, da stimme ich dir nicht unbedingt zu. Dein Eindruck mag ein Stück weit richtig sein, aber wie du sicher bemerkt hast, ist das Album in vier Kapitel unterteilt. Kapitel zwei und vier zeigen eher unsere ruhigen Seiten, während Kapitel ein und drei eher harte und schnellere Songs beinhalten… für unsere Verhältnisse zumindest schneller. Ich sehe Judas Christ daher weniger als einen Richtungswechsel, sondern als eine Mischung aus den letzten drei Alben. Man kann darauf die Atmosphäre und die Experimente von A Deeper Kind Of Slumber wiederfinden, aber auch die flotteren, fast schon punkigen Songs von Skeleton Skeletron und sogar einige härtere Elemente von Wildhoney.

Wo siehst du auf Judas Christ die größten Verbesserungen und Unterschiede im Vergleich zu Skeleton Skeletron?

Ich finde, dass wir unsere Vorstellungen auf dem neuen Album besser in die Tat umgesetzt haben. Skeleton… wurde von uns sehr schnell zusammengesetzt, in gerade mal ein paar Wochen. Die Ideen, die wir auf Skeleton… zu entwickeln begannen, sind nun auf dem neuen Album vollständiger realisiert worden. Wir hatten diesmal mehr Zeit, uns zu überlegen, was wir machen und erreichen wollen. Ich kann nicht beurteilen, ob das gefruchtet hat, aber wir hatten für den Versuch auf alle Fälle mehr Zeit.

Was denkst du heute über Skeleton…?

Ich halte es nach wie vor für ein gutes Album! Bis zur Fertigstellung von Judas Christ war es mein Lieblingsalbum von uns. Ich weiß, dass das die typische Musikerantwort ist, so nach dem Motto Das neue Album ist unser bestes…, aber ich mag Skeleton… wirklich noch immer sehr, wobei wir jedoch für die Liveshows einige Songs von Skeleton… ein wenig umarrangiert haben, was wir wohl auch auf dem Album getan hätten, wenn uns mehr Zeit geblieben wäre. Skeleton… war fast schon wie ein Schnappschuss, eine Momentaufnahme, wo wir uns damals befanden. Das neue Album hingegen wirkt einfach durchdachter, finde ich.

Wie gestaltet sich bei euch eigentlich die Zusammenarbeit, nun da Johan nach Deutschland gezogen ist, während der Rest von euch nach wie vor in Schweden lebt?

Das ist gar kein Problem, in Schweden wohnen wir auch nicht alle auf einem Haufen, sondern ich in Göteborg und die anderen Jungs in Stockholm. Jeder von uns hat ein Heimstudio, in dem wir Demos aufnehmen und den anderen schicken können, um Meinungen einzuholen, ob eine Idee was taugt oder nicht. Wir sind also ständig in Kontakt, zumal dies mit dem Internet und so weiter heutzutage um ein Vielfaches unkomplizierter geht als noch vor ein paar Jahren. Ich sehe es mittlerweile sogar als einen Vorteil, dass wir nicht alle auf einem Haufen wohnen. Wenn wir dann zusammenkommen, arbeiten wir für die Band und haben Spaß zusammen.

Würdest du also sagen, dass ihr euch besser auf die Band konzentrieren könnt, wenn ihr euch dann trefft?

Auf alle Fälle! Wenn wir zusammenkommen, so geschieht es, damit wir Konzerte spielen, Songs schreiben, proben oder wie in diesem Fall Interviews geben, hat also stets mit der Band zu tun. Klar treffen wir uns auch einfach mal so zum Spaß, doch im Normalfall steht die Band dann unbestritten im Mittelpunkt. Wenn man von daheim weg ist, fallen zudem die Ablenkungen des alltäglichen Lebens weg. Da ist keine Freundin, die dich fragt, ob du den Abwasch schon gemacht hast, du mußt keine Rechnungen bezahlen, sondern kannst dich voll und ganz der Musik widmen, sei es bei Konzerten oder bei Interviews. Schon seit dem zweiten Album haben wir auch stets aus diesem Grund darauf geachtet, die Aufnahmen fern von unserem Alltagsleben durchzuziehen, um den Kopf voll und ganz frei zu haben für die Recordings.

Kann die Rückbesinnung auf ältere Elemente auch mit Johans Soloprojekt LUCYFIRE zusammenhängen? Schließlich konnte er sich dort austoben, was direkte, ohne Umschweife zum Punkt kommende Rocksongs angeht…

Das hatte, glaube ich, keinen allzu großen Einfluss. Schließlich waren die atmosphärischen Parts schon immer ein Teil von TIAMAT, selbst bei rockigen Tracks und sehr langsamen Songs. Diese TIAMAT-spezifische Grundstimmung ist stets präsent. Daher dürfte sich der LUCYFIRE-Einfluss sehr in Grenzen halten, auch wenn ich gestehen muss, dass ein Song wie I Am In Love With Myself ohne Probleme auch als LUCYFIRE-Song durchgehen könnte.

Wie gefällt dir persönlich denn das LUCYFIRE-Album?

Ich mag es sehr. Ich spiele bei ihren Liveshows Gitarre, also sollte es mir auch gefallen (lacht) ! Manche Songs gefallen mir sehr, andere weniger, aber live machen sie alle Spass.

Befindet sich auf dem LUCYFIRE-Debüt ein Lied, das du lieber auf einem TIAMAT-Album gesehen hättest?

Eigentlich nicht, ich bin vielmehr glücklich, dass Johan für diese Ideen LUCYFIRE ins Leben gerufen hat, so dass die Songs nicht auf einem TIAMAT-Album landeten, denn ich finde, dass sie dort nicht unbedingt hinpassen würden. Sie haben so etwas Locker-Flockiges an sich, was ja an und für sich nichts Schlimmes ist, nur würde es nicht zu TIAMAT passen. Daher bin ich mit Johans Lösung sehr zufrieden.

Lass´ uns nochmal kurz auf Skeleton… zurückkommen. Für mich war das Album gelinde gesagt eine ziemliche Überraschung, als ich es zum ersten Mal hörte mit seiner direkten Herangehensweise und dem knappen Rocksong als Arrangementideal. In wie weit war diese Reduktion auf klare, kurze Arrangements eine direkte Reaktion auf das A Deeper Kind Of Slumber-Album und die Kritik, die ihr dafür von ein paar Seiten einstecken mußtet, z.B. dass die Scheibe zu abgespaced, zu ruhig und zu weit abseits der normalen Hörgewohnheiten war?

TIAMATEs war eine direkte Antwort auf A Deeper Kind Of Slumber, aber nicht auf die Kritik daran. Wir wußten da schon vorab, was wir von den Rezensenten zu erwarten hatten, dass es so abgedreht und so arg ruhig und dies und das sei. Das änderte nichts daran, dass wir sehr stolz auf das Album waren. In der Folge tourten wir sehr ausgiebig für A Deeper Kind… und fanden dabei heraus, dass uns die härteren Songs mehr lagen als der ruhige Kram. Es war also eine bewußte Entscheidung, die Geschwindigkeit ein wenig anzuziehen und schneller auf den Punkt zu kommen, die Songs zu vereinfachen und einfach der Musik das Überlebensgroße zu nehmen.

Als Nächstes hätte ich eine nicht so ernst gemeinte Frage: Wie würden Songs wie Vote For Love oder Brighter Than The Sun klingen, wenn es eine Band namens THE SISTERS OF MERCY nie gegeben hätte?

(Lacht) Am liebsten würde ich sagen, dass sie hoffentlich genauso klängen wie sie es nun tun, aber ich bin mir da nicht so sicher. Gerade Brighter… ist doch sehr von dieser Band beeinflusst. Das ist eine knifflige Frage…Ich denke, dass sich der Einfluss von Bands wie THE SISTERS OF MERCY, THE MISSION und FIELDS OF THE NEPHILIM hauptsächlich in Johans Stimme wiederfindet. Und da glaube ich, dass er genauso singen würde, wenn er nie von Andrew Eldritch gehört hätte.

Johans Gesang ist meiner Meinung nach auf dem neuen Album nochmal deutlich abwechslungsreicher und vielseitiger ausgefallen. Hat er als Sänger in den letzten Jahren viel Selbstvertrauen sammeln können?

Das würde ich so sehen, ja. Gerade an dieser Stelle hat das LUCYFIRE-Album tatsächlich Auswirkungen auf TIAMAT gehabt, denn da hat Johan gelernt, über seinen Schatten zu springen und beim Schreiben der Gesangslinien nicht gleichzeitig noch Keyboardarrangements oder so im Kopf zu haben. Er hat einfach einen Schritt nach dem anderen getan und öfters auch mal Arbeit an andere abgegeben. Das ist aus meiner Sicht die Hauptauswirkung des LUCYFIRE-Albums: dass er aus sich rauszugehen gelernt hat und nicht mehr die Kontrolle über jedes noch so kleine Detail an sich reißen mußte, was ich als sehr positiv empfinde.

Aufgenommen habt ihr in einem sehr renommierten und daher wohl auch teuren Studio in Dänemark. Was war so speziell an dem Studio, so dass ihr euch entschieden habt, dort aufzunehmen?

Zunächst einmal ist es ein Jugendtraum von uns allen gewesen, eines Tages ins PUK-Studio gehen zu können. Die haben da sogar neben einem Wohnkomplex einen Koch. Die SISTERS OF MERCY haben da schon aufgenommen, DEPECHE MODE ebenso. Es ist immer unser Traum gewesen und nun fanden wir uns in der Position wieder, in der wir es uns leisten konnten, wenn auch nur für ein paar Wochen und nicht für das komplette Album. Wir fühlten uns, als würden wir auf geheiligtem Boden aufnehmen! Es war wirklich cool, die Atmosphäre quillt quasi aus allen Wänden. Du weißt schon, man geht auf´s gleiche Klo wie Dave Gahan und pennt im gleichen Bett wie Rob Halford. Davon abgesehen ist es natürlich auch ein sehr gutes Studio. Johan war dorthin gegangen, um das LUCYFIRE-Album abzumischen. Dabei hat er Lars Nissen kennengelernt, der nun ja Judas Christ produziert hat.

Wie kann man sich denn dann euren ersten Tag dort im Studio vorstellen, wart ihr sehr nervös?

Wir kamen spätnachts im Auto von Schweden an, nachdem wir uns auf der Fähre ein paar Bier genehmigt hatten. Wir liefen wie gebannt umher und bestaunten die mit Goldenen Schallplatten und auch Platinschallplatten übersät sind. Wir waren wie vor den Kopf gestoßen, und es dauerte eine Weile, bis das nachließ. Einige der Songs wurden im PUK-Studio erst vollendet, Too Far Gone zum Beispiel, das wir komplett dort schrieben. Johan und ich spielten eines Abends einfach so in einer Ecke auf Akustikklampfen rum, um den Song zu einem Ende zu bringen und dachten auf einmal, dass es cool wäre, wenn wir in dem Moment einen Verstärker zum Aufnehmen hätten. Also riefen wir das Studio an – und nur Minuten später kam ein Fender-Twin aus den frühen Siebzigern reingerollt, ein Angestellter brachte ihn zusammen mit Aufnahmeequipment rein. Vom technischen Standpunkt aus hatten wir dort also alles, was unser Herz begehrte.

Die Website eures Labels hat einiges an Verwirrung gestiftet, dort sind nur drei Musiker im Line-up genannt und lediglich drei von euch auf dem Bandphoto zu entdecken…

Ja, das war ein unglücklicher Zufall. Thomas konnte nicht zur Fotosession nach Kopenhagen runterkommen an dem Wochenende, da er mit Umziehen beschäftigt war. Auf den neuen, offiziellen Bildern für Judas Christ ist er jedoch mit drauf. Er ist nach wie vor ein festes Bandmitglied.

Dann verrate mir mal als Nächstes, welche Idee sich hinter dem Albumtitel verbirgt. Ich denke mal, dass das keine Anspielung auf JUDAS PRIEST sein soll, hehe…

Hölle auch, nein, haha! Es ist leicht erkennbar ein Wortspiel mit ´Jesus Christ´. Beide Worte nebeneinander wirken sehr stark. Man schaut genauer hin, wenn man ´Judas´ und ´Christ´ nebeneinander sieht, um sicherzugehen, dass man richtig gelesen hat. Es ist ein sehr starkes Bild, das viele Leute schon jetzt angepisst hat, was ich als sehr erfrischend empfinde. Der Titel stellt auch einen Schritt zurück zu den frühen Idealen der Band dar, die Heuchelei der christlichen Kirche mit ihren üblen Machenschaften zu outen. Mit dem Titel tragen wir gewissermaßen die Rebellion auf das eigene Terrain der Kirche und fechten mit deren Waffen. Wir wollten nämlich deutlich machen, dass Judas der menschlichste aller Jünger war, der so menschliche Züge hatte wie z.B. zu betrügen, Leute zu verkaufen und letztlich Selbstmord zu verüben…und für all dies wird ihm wohlgemerkt vergeben. Dadurch drehen wir den Spieß um.

Ein Songtitel wie Vote For Love wäre auf euren vorhergehenden Alben gelinde gesagt ziemlich aus dem Rahmen gefallen. In wie weit reflektiert dies einen Wandel in eurer Musik und euren Texten?

Das ist ein guter Punkt, um unsere gewandelte Herangehensweise aufzuzeigen. Ich würde zwar behaupten, dass wir im Großen und Ganzen nach wie vor eine ähnliche Arbeitsweise haben, doch wenn man älter, erwachsener wird und einen Blick für die Realität gewinnt, will man einfach nicht ausschließlich als depressive, finstere Gesellen in Erinnerung bleiben, die die ganze Zeit über eine negative Stimmung ausstrahlen. Es war an der Zeit, mal eine andere Seite von uns zu zeigen, wobei es gar nicht so ein großer Schritt ist, denn in den Versen tauchen immer wieder auch weinerliche, selbstmitleidige Passagen auf, wenngleich eher als Aufruf, damit Schluss zu machen und eine positivere Sicht der Dinge anzunehmen.

Würdest du eure bisherigen Alben denn als negativ bezeichnen?

Nicht unbedingt negativ im schlechten Sinn, aber es kamen bei unserer Musik sicherlich kaum Glücksgefühle auf. Die alten Alben sind eher dunkel, voll von geheimnisvoller Wortmalerei. Das findet sich zwar auch heute noch in unserer Musik wieder, aber wir finden, dass es an der Zeit ist, endlich erwachsen zu werden und ein wenig Licht zu verbreiten.

Wo oder wie können wir denn dann für die Liebe stimmen, hehe (Vote For Love)?

Das ist natürlich ein Symbol, es hat nichts mit Politik zu tun. Ich würde mal sagen, dass die Grundaussage des Titels die ist, dass man einfach öfter mal die nächste Person, die einem über den Weg läuft, anlächelt, den hübschen Mädels neben einem im Bus ein Kompliment macht, seinem Kollegen sagt, dass dieser gute Arbeit abgeliefert habe, oder einfach mal Muttern mit einem Anruf erfreut, du weißt schon, so Sachen, einfach ein bißchen glücklicher sein, ein wenig mehr lächeln und froh sein…immerhin sind wir noch am Leben!

Ein weiterer Songtitel, der mir auffiel, war Love Is As Good As Soma. Handelt es sich dabei um eine Anspielung auf Aldous Huxleys Roman Brave New World, in der eine Glücksdroge namens Soma eine Rolle spielt?

Das ist richtig. Ursprünglich war Soma ein ägyptischer Pilzgott, der auch schon in den Texten zu A Deeper Kind Of Slumber auftauchte. Solche mythologischen Aspekte hatten unsere Texte ja schon immer. Es ist aber auch eine Anspielung auf Brave New World. Wer sich den Refrain genau anhört, wird merken, dass er dem Roman entnommen wurde.

Und in welcher Beziehung sind Liebe und Soma sich ähnlich?

Nun, das kommt darauf an, was für einen Charakter du besitzt, denke ich mal. In mancher Hinsicht haben die beiden viel gemeinsam, manchmal auch nicht so viel. Man kann das Ganze aber auch umdrehen: Soma kann so gut wie Liebe sein, was wiederum den Bogen zu unserem Bestreben, glücklicher rüberzukommen, schließt.

Du hast bereits die vier Kapitel angesprochen, die das Album unterteilen. Was ist die Absicht hinter dieser ungewöhnlichen Aktion?

Da steckt nicht unbedingt eine tiefere Absicht dahinter, sondern nur, dass wir bei den Proben schon früh merkten, dass wir einige sehr unterschiedlich klingende Songs geschrieben hatten. Um also das Album nicht zu schizophren werden zu lassen, haben wir die ähnlichsten Songs nebeneinander gestellt. Die ersten drei sind beispielsweise eher in härteren Regionen anzusiedeln, während im zweiten Kapitel die atmosphärischen, experimentellen Songs zum Zuge kommen. Kapitel drei umfaßt die schnelleren ´Punksongs´, wie wir sie nennen. Mit ´schnell´ meine ich aber natürlich nicht MORBID ANGEL-Geschwindigkeiten…´Casadores´, das letzte Kapitel, zeigt unsere Wir-sitzen-spät-nachts-mit-einer-Pulle-Whiskey-rum-und-musizieren-Seite. Hätten wir all diese verschiedenen Seiten durcheinander gemischt, also z.B. Too Far Gone zwischen Vote For Love und The Return Of The Son Of Nothing platziert, wäre ein einfach nur noch schizophrenes Ergebnis rauskommen. So aber hat der Hörer Zeit, sich in jedes Kapitel reinzuhören und drüber nachzudenken. Wir fanden, dass diese Anordnung sinnvoll ist. Die Titel der einzelnen Kapitel summieren einfach nur das jeweils zugrunde liegende Gefühl. Die Worte an sich bedeuten nicht viel.

Zu Beginn des Openers The Return Of The Son Of Nothing habt ihr dieses nette Déjà-vu-Erlebnis eingebaut, indem das Schlagzeug einen an den Refrain von Whatever That Hurts erinnernden Rhythmus spielt…

Ach, wirklich? (Lacht) Es ist exakt der gleiche Rhythmus.

Handelt es sich dabei um eine bewußt ironische Spielerei mit den immer noch bei vielen Fans präsenten Erwartungen, dass ihr eines Tages eine Art Wildhoney Teil 2 herausbringt?

Der Song entstand aus einem Versuch heraus, einen Wildhoney-Song zu schreiben. Wir waren uns zwar bewußt, dass das so nicht klappen würde, aber wir kamen der Stimmung ziemlich nahe. Unser Drummer Lars meinte, dass The Return Of The Son Of Nothing so klingt, wie wir zu Wildhoney-Zeiten gerne geklungen hätten, es aber nicht hinbekamen. Wir alle mögen Wildhoney. Es bleibt jedem selbst überlassen, ob der Schlagzeugrhythmus ein Tribut an dieses Album oder eine Selbstparodie darstellen soll. Ich neige eher zu der Sicht, dass es ein Tribut ist, schließlich versuchten wir bei dem Song herauszufinden, was Wildhoney eben nach Wildhoney klingen ließ, und einige Aspekte herauszufiltern, um zu sehen, ob wir etwas Ähnliches nochmal hinbekommen.

Der ständige Ruf nach Wildhoney Teil 2 frustriert euch also nicht?

Nein, natürlich nicht! Dieses Album war eine Art Wendepunkt oder besser Meilenstein für uns. Ich habe keinerlei Probleme damit.

In Kürze geht es für euch auf Tour zusammen mit MOONSPELL und FLOWING TEARS. Was hältst du von den anderen Bands?

Das ist eine sehr gute Kombination. Ich muss gestehen, dass ich noch nicht allzu viel von FLOWING TEARS bislang gehört habe, aber wir sind schon mit MOONSPELL einige Male auf Tour gewesen und kennen sie daher ganz gut. Es sollte also eine spaßige Tour werden. Und die Zusammenstellung ist für Fans dieser Art von Musik sehr lohnenswert.

Werden wir auch LUCYFIRE-Songs zu hören bekommen auf den Konzerten?

Nein.

Können wir erneut mit modernisierten Versionen alter Songs wie auf der Deeper Kind…-Tour rechnen?

Meinst du The Sleeping Beauty? Den Track hatten wir damals heftig modernisiert. Zu der Zeit wäre es wenig schlüssig gewesen, ihn wie auf Clouds zu spielen, er hätte einfach nicht reingepaßt. Doch da es ein guter Song ist, wollten wir ihn nicht aus dem Set schmeißen. Schließlich ist er gewissermaßen unser Smoke On The Water, den müssen wir spielen. Mittlerweile zocken wir ihn wieder in der harten Urversion, allerdings ohne den schnellen Mittelteil.

Was geht dir allgemein so durch den Kopf, wenn du ältere Songs wie Lady Temptress, Ancient Entity oder Sumerian Cry hörst?

Da wandern meine Gedanken meistens zurück zu den damaligen Zeiten. Ich mag diese Alben wirklich sehr, obwohl ich darauf nicht zu hören bin. Dafür war ich auf der ersten TIAMAT-Tour damals dabei, auf der wir Songs von Astral Sleep, Sumerian Cry und Clouds, das damals gerade erschienen war, spielten. Für mich ist es also wie eine Zeitreise.

Weißt du, was Johan und Thomas, die beiden anderen verbliebenen Mitglieder aus dieser Zeit, heute bei den alten Songs empfinden?

Sie sind sehr stolz darauf. Ich weiß, dass Johan mehr auf die Texte denn auf die Musik stolz ist, da musikalisch zu der Zeit zu viele Kompromisse gemacht wurden. Ich finde Astral Sleep übrigens besser als Clouds, Johan geht es genauso, während Thomas eher zu Clouds neigt. Ich bin mir da aber nicht ganz sicher, da müßtest du ihn selber fragen.

In der Öffentlichkeit wird TIAMAT sehr häufig von Johan personifiziert. Habt ihr anderen damit ein Problem?

Nein, es bedeutet nur, dass er um einiges mehr Arbeit hat. Für ihn ist es allerdings auch einfacher, da er ja in Deutschland lebt. Es ist klar, dass alle Magazine ein Interview mit der Frontperson haben möchten, was ich verstehen kann, wobei ich als Fan einer Band es auch zu schätzen wüßte, wenn ich Interviews mit allen beteiligten Musikern lesen kann und die Ansichten von jedem dargelegt bekomme. Ich mag es auch, mit einem anderen Bandmitglied zusammen ein Interview zu geben, das ist lustiger zu lesen, und außerdem kann man auf die Gedanken des anderen eingehen.

Wie weit spiegelt die Repräsentation Johan gleich TIAMAT die interne Arbeitsweise wider? Wieviel Einfluss habt ihr anderen?

Mehr auf diesem Album. Der Sound der Band wurde schon immer von uns allen vier bestimmt. Keine anderen vier Leute könnten so klingen wie wir. Auf diesem Album hat sich jeder von uns zudem am Songwriting beteiligt, nachdem Johan auf den letzten drei Alben die Zügel diesbezüglich alleine in der Hand hatte. Auf Judas Christ stammt immer noch der Großteil der Musik von ihm, aber nicht ausschließlich, wir haben das diesmal aufgeteilt. Ich schrieb beispielsweise Spine, Johan und ich schrieben zusammen Too Far Gone und…verdammt, ich kann mich an den Namen nicht mehr erinnern (lacht). Den Track auf der B-Seite der Single, den habe ich ebenfalls geschrieben. Sumer By Night und auch Fireflower wurden hingegen von uns allen vier zusammen geschrieben.

Bevor wir nun zu einem Ende kommen, würde ich gerne noch deine Kommentare zu folgenden Sprüchen von dir in eurem Studiotagebuch auf eurer Homepage hören. Der erste wäre: Wenn man das Schlagzeug noch hören kann, ist der Bass nicht laut genug!

(Lacht) Ja, die Frage ist da nur: Wie betrunken war ich, als ich das gesagt habe, haha! Das war ein Witz von mir während des Abmischens. Jeder von uns wollte Lars Nissen spaßeshalber dazu bringen, sein jeweiliges Instrument besonders in den Vordergrund zu mischen.

Wie war denn die Reaktion eures Drummers auf deinen Spruch?

Er versetzte mir einen Hieb in die Magengrube, haha…

Der andere Spruch wäre: Johan hat höllische Rhythmusgitarren eingespielt, er ist der Malcolm Young des 21. Jahrhunderts!

Ja, Johan ist ein exzellenter Rhythmusgitarrist, und Malcolm Young ist mein absoluter Favorit in dieser Sparte. Er ist absolut faszinierend, und ich glaube, dass das, was Johan auf dem aktuellen Album eingespielt hat, kommt von der Attitüde her dem sehr nah, einfach die Art, wie er zum Punkt kommt ohne Schnörkel. Er spielt einfach nur, was gut für den Song ist und keine Note mehr, was ich sehr an ihm schätze. Ich werde ihn nun nicht ständig Malcolm nennen, aber ein großartiger Rhythmusgitarrist ist er allemal.

Fotos: TIAMAT-Homepage

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