IAN ANDERSON: Homo Erraticus

Ein gutes Album mit Stärken und Schwächen – minimal schwächer als der Vorgänger, dafür aber verspielter. Das JETHRO TULL-Mastermind hat mit seinen 66 Jahren nichts von seiner Feinsinnigkeit verloren hat und liefert einmal mehr ein schön kauziges Folk-Prog-Gemisch ab.

IAN ANDERSON gehört zu den Leuten, die wahrscheinlich irgendwann einfach auf der Bühne tot umfallen. Bis dahin wird das JETHRO TULL-Mastermind heiter durch die Welt touren, selbst wenn mit seiner angeschlagenen Stimme die alten Hits eine (zu) große Herausforderung sind. Da trifft es sich gut, dass Anderson jüngst die Freude am Komponieren wiederentdeckt hat. Mit der Fortsetzung Thick As A Brick 2 ist ihm eine überraschend schlüssige Platte gelungen, an die Homo Erraticus jetzt stilistisch und auch textlich anknüpft. Nein, es sind keine zeitlosen Klassiker, keine nahtlosen Weiterführungen der guten alten Zeiten. Aber es sind solide Alben mit allerlei reizvollen Melodien und Stimmungen. Zudem gibt es in den Texten allerlei, teils kontroverse, stets gesellschaftskritische Beobachtungen und Ansichten zu entdecken.

Homo Erraticus ist einmal mehr ein Solo-Album. Es will kein rechtes Bandfeeling entstehen, obwohl die Besetzung jede Menge gemeinsame Auftritte absolviert hat. Schuld daran ist vermutlich auch der trockene, klare Mix. Außerdem beschränken sich die Arrangements nahezu komplett auf das, was die fünf Musiker live spielen würden. Dadurch wirkt die Produktion nicht überfrachtet – der große Progbombast fehlt jedoch. Zumindest tauchen die typischen Klangfarben regelmäßig auf, die man bei JETHRO TULL schätzt: Hammond Orgel, verspielte Akustikgitarre, kreative Bassläufe und natürlich die Querflöte (Tripudium Ad Bellum!).

Die Basis der Stücke sind überwiegend einfache Rockelemente, die immer wieder mit konzertanten Einschüben und kecken Akustikpassagen aufgebrochen werden. Schon beim Opener Doggerland weiß man so sofort, wo der Hase langläuft. Die rein akustischen Momente wurden auf ein Minimum reduziert, was Rockfans sicher freuen wird. Allerdings klingen die nachdenklicheren Momente meist fesselnder, weil den härteren Teilen immer noch ein zähmender Folk-Touch anhaftet. Statt extravaganter Höhenflüge beschränkt sich der Gesang auf klare Melodien und die gerade in den Versen eher Geschichtenerzähler-Stimmung verbreiten als Opern-Atmosphäre. So klingt die Musik ungemein authentisch und ehrlich.

Zu den Highlights des Albums gehören das rhythmisch abwechslungsreiche New Blood Old Veins und der typische Abschlusssong Cold Dead Reckoning. After These Wars enthält zudem einige der besten Melodien, wenngleich der Refrain etwas schwächelt. Dann gibt es eine ganze Reihe Stücke wie das ruhige Meliora Sequamur, die hübsch klingen, aber nicht nachhaltig für Begeisterung sorgen. Angenehmerweise werden die Lieder nicht unnötig in die Länge gezogen, so dass man die CD gut am Stück genießen kann. Es freut mich, dass Anderson mit seinen 66 Jahren nichts von seiner Feinsinnigkeit verloren hat, die sich in dem kauzigen Folk-Prog-Gemisch auf Homo Erraticus bestens widerspiegelt. Auch wenn das Album kein Pflichtkauf ist, wird es seinen Käufern sicher Freude bereiten – und zwar sicher mehr Freude als der zigste 5.1-Remix von KING CRIMSON oder noch ein GENESIS-Remaster-Box-Set.

Veröffentlichungstermin: 11.04.2014

Spielzeit: 48:24 Min.

Line-Up:
Ian Anderson: Gesang, Flöte, Gitarre
Florian Opahle: Gitarre
John O`Hara: Keyboards
David Goodier: Bass
Scott Hammond: Schlagzeug
Ryan O`Donnell: Gesang
Label: Kscope

Homepage: http://www.iananderson.com

Mehr im Netz: http://www.homoerraticus.com

Tracklist:
PART ONE: CHRONICLES
1. Doggerland
2. Heavy Metals
3. Enter The Uninvited
4. Puer Ferox Adventus
5. Meliora Sequamur
6. The Turnpike Inn
7. The Engineer
8. The Pax Britannica

PART TWO: PROPHECIES
9. Tripudium Ad Bellum
10. After These Wars
11. New Blood, Old Veins

PART THREE: REVELATIONS
12. In For A Pound
13. The Browning of the Green
14. Per Errationes Ad Astra
15. Cold Dead Reckoning

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