NIGHTWISH: Imaginaerum

Es gibt viele vertraute Stilelemente, die deutlich nach NIGHTWISH klingen, aber erfreulicherweise wird auch immer wieder stilistisches Neuland betreten. Gerade die Ausflüge in Filmmusikgefilde und überraschend emotionales Terrain machen die Musik auch für Leute interessant, die mit früherem Material wenig anfangen konnten.

Mit Imaginaerum präsentieren NIGHTWISH nicht einfach die Fortsetzung von Dark Passion Play, sondern betreten mutig stilistisches Neuland. Freilich bietet das Album genügend vertraute Stilelemente, um die Musik deutlich nach NIGHTWISH klingen zu lassen. Aber die Ausflüge in Filmmusikgefilde und überraschend emotionales Terrain machen die CD auch für Leute interessant, die mit dem Operngesang und dem Melodic-Metal-Tralala früherer Alben wenig anfangen konnten.

Am eindrucksvollsten wirkte das Album, als ich es morgens um 5 Uhr im Dunkeln unterm Kopfhörer hörte. Wie nicht anders zu erwarten, basiert Imaginaerum auf der Verschmelzung von Orchesterklängen und dramatischem Melodic Metal mit Hang zum Pathos. Doch immer häufiger bricht die Band aus den gewohnten Mustern aus. Statt kitschiger Balladen gibt es das folkig angehauchte Turn Loose The Mermaids, in dessen Mittelteil mal eben schlüssig (!) Trompetenfanfaren der Marke Ennio Morricone eingebaut werden, und die Love/Hate-Nummer Slow, Love, Slow, bei dem die jazzige Atmosphäre sicher ungewohnt, aber doch sehr passend klingt.

Es ist wahrlich beeindruckend, wie schlüssig die Band ihren Stil weiterentwickelt hat. Natürlich stoßen solche Veränderungen zwangsläufig einigen Fans vor den Kopf. Doch dafür ist die Musikwelt um ein herrlich eigenständiges Album voller fesselnder Feinheiten und bewegender Melodien reicher. Freilich beschränkt sich die Weiterentwicklung nicht nur auf die Kompositionen. Sängerin Anette Olzon erkennt man stellenweise kaum wieder, so sehr steigert sie sich bisweilen in die nicht gerade fröhlichen Texte rein. Man höre sich nur einmal Scaretale an! So begeistern mich letztlich Stücke wie Rest Calm, die sich am meisten gegen ein Schubladendenken sperren, am meisten.

Mit Storytime, I Want My Tears Back und Last Ride Of The Day bietet die CD immerhin drei typische NIGHTWISH-Songs mit Hitpotenzial, die auch bei tagsüber im Hellen gut rüberkommen. Gerade Last Ride Of The Day macht eigentlich alles richtig – nur leider erinnert es mich an stark The Escapist – jenen genialen Song, der erst Bonustrack, dann Single-B-Seite und zuletzt auf Made In Hongkong (And In Various Other Places) verdientermaßen Albumtrack wurde – und zieht im direkten Vergleich den Kürzeren. Einen echten Hänger gibt es schließlich auch noch zu vermelden – und das gleich zu Beginn in Form von Ghost River: Ein Gitarren-Riff, das nach VAN HALEN klingt, trifft auf den Refrain von EDGE OF SANITYs Gothic-Ausflug Sacrificed – und was dazwischen noch in dem Stück passiert, ergibt auch nicht besonders viel einen Sinn. Wesentlich besser weiß da schon der Abschlusstrack Song Of Myself zu gefallen, der einmal mehr die typische Mischung aus eingängigen Melodien und dramatischem Bombast liefert. Der überlange Schlussteil verzichtet dabei auf den Orchesteroverkill und überrascht lieber mit nachdenklichen Überlegungen, in denen sich einmal mehr die Selbstzweifel, die Emotionen, die Freude, die Leidenschaft und die Poesie widerspiegeln, die den Charakter der Musik und insbesondere der Texte von NIGHTWISH ausmachen. Das abschließende Orchester-Medley Imaginaerum greift am Ende noch einmal die musikalischen Leitmotive auf und wirkt eher wie ein Nachwort oder eben – um einen Filmbezug zu bemühen – wie (schöne) Abspannmusik.

Ungeachtet aller kommerziellen Aspekte (Ist Platz 6 in den deutschen Charts jetzt ein Erfolg oder eine Enttäuschung?) ist Imaginaerum ganz großes Ohrenkino und eins der kreativsten Alben, die ich seit langem gehört habe.

Veröffentlichungstermin: 02.12.2011

Spielzeit: 74:56 Min.

Line-Up:

Anette Olzon: Gesang
Marco Hietala: Bass, Gesang
Emppu Vuorinen: Gitarre
Jukka Nevalainen: Schlagzeug
Tuomas Holopaien: Keyboard, Klavier

Produziert von Tuomas Holopaien
Label: Nuclear Blast

Homepage: http://www.nightwish.com

Mehr im Netz: http://www.myspace.com/nightwish

Tracklist:

1. Taikatalvi
2. Storytime
3. Ghost River
4. Slow, Love, Slow
5. I Want My Tears Back
6. Scaretale
7. Arabesque
8. Turn Loose The Mermaids
9. Rest Calm
10. The Crow, The Owl And The Dove
11. Last Ride Of The Day
12. Song Of Myself
13. Imaginaerum

Total
0
Shares
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner