LOONATARAXIS: Nüchtern auf dem Oktoberfest

Der Crossover lebt. Diese Erkenntnis ist nicht wirklich neu, doch schon lange hat er sich nicht mehr so lebendig gefühlt wie mit "Up Here". LOONATARAXIS haben auf ihrem Zweitwerk an den richtigen Schrauben gedreht, die natürliche Verrücktheit in einen verständlichen Rahmen gebracht und so ein rundes Hörerlebnis kreiert, das den Kopf bei aller Zugänglichkeit trotzdem fordert. Weil sich dieser Anspruch nicht nur auf die Musik, sondern auch die lyrischen Inhalte bezieht, haben wir uns Sänger Till Herence geschnappt und in einem entspannten Telefonat zum neuesten Sprössling befragt.

Der Crossover lebt. Diese Erkenntnis ist nicht wirklich neu, doch schon lange hat er sich nicht mehr so lebendig gefühlt wie mit “Up Here“. LOONATARAXIS haben auf ihrem Zweitwerk an den richtigen Schrauben gedreht, die natürliche Verrücktheit in einen verständlichen Rahmen gebracht und so ein rundes Hörerlebnis kreiert, das den Kopf bei aller Zugänglichkeit trotzdem fordert. Weil sich dieser Anspruch nicht nur auf die Musik, sondern auch die lyrischen Inhalte bezieht, haben wir uns Sänger Till Herence geschnappt und in einem entspannten Telefonat zum neuesten Sprössling befragt.

Hi, Till! Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, hast du über die zukünftige Entwicklung der Band noch gemutmaßt, dass alles möglich sei und am Ende vielleicht Progressive Rock’n’Roll dabei herauskommt. Was meinst du persönlich rückblickend? Sind deine Prognosen brauchbar gewesen?

Also ich denke, ich habe das ganz gut getroffen. Im Prinzip ist es Rock’n’Roll, also für unsere Verhältnisse ziemlich gerade und 4/4-taktig. Außerdem ist es wild, laut und all das, was Rock’n’Roll eigentlich ausmacht, aber schon mit einem krummen Touch – zwar nicht taktmäßig, aber von der Intention her – so wie die verrückten Zwischenteile, die ja bei uns so etwas wie eine Spezialität sind.

Ich finde auch, dass die Songs insgesamt etwas zielstrebiger sind. Ist das auch ein spürbarer Einfluss von eurem Gitarristen Marcello, immerhin ist es sein erstes Album mit euch, bei dem er auch direkt einen Großteil der Musik geschrieben hat.

Ich finde, dass so etwas grundsätzlich einen massiven Einfluss hat und ich denke auch, dass der Zeitpunkt zu dem er zu uns gestoßen ist, uns auch zeitlich richtig gut getroffen hat. Er ist von der Songzielstrebigkeit, so wie du es formuliert hast, auf jeden Fall auch gerader, was bei uns damals auf offene Türen gestoßen ist. Ich hatte ja, wie gesagt, in der Prognose bereits vor, das Ganze ein bisschen rock’n’rolliger zu machen und ich glaube, er hatte da schon einen großen Einfluss auf uns, was die Songstrukturen und natürlich das Riffing betrifft. Wir haben dann zu zweit die Songs in ihren Grundrissen geschrieben sowie die Riffs angepasst, bevor wir sie als Band komplettierten. Ich war damals schon von der Art und Weise angetan, wie er an die Sache herangeht.

Ich habe auch das Gefühl, dass man das bei den Arrangements merkt, die für mich viel abgeklärter sind. Ich habe den Eindruck, dass ihr diesmal viel mehr Zeit damit verbracht habt, alles schlüssig ineinander zu fügen. Oder täusche ich mich da?

Nein, absolut richtig, da haben wir auch wahnsinnig viel Zeit hineingesteckt, um die Songs wirklich so rund wie möglich zu bekommen – auch damit es live besser knallt. Es wird einfach schwierig, wenn die Leute nicht sofort verstehen, was wir mit unserer Musik meinen. Dann muss man als Künstler auf der Bühne noch mehr performen, um den Leuten die Bedeutung der eigenen Musik auch zu zeigen. Deshalb wollten wir jetzt den Weg gehen, die Songs so krass rund zu machen, dass sie sich oft einfach selbst erklären. Ich glaube, das ist uns auch ganz gut gelungen.

Ihr habt ja ein paar der neuen Songs bereits live gespielt. Würdest du also sagen, dass eure Intention bereits bestätigt wurde?

Absolut, ja. Ich glaube, dass das, was man dem Rock’n’Roll nachsagt, auch eingetreten ist: Das Ganze rollt jetzt mehr. Unsere Zielsetzung war eigentlich, dass wir die Songs wie eine Art Schneeball gestalten, der nach unten rollt und dabei immer größer wird. Ich denke, das funktioniert auch gut, denn wie gesagt saßen wir im Proberaum tagelang an jedem einzelnen Song, haben die Stücke ständig umarrangiert und verschiedenste Dinge ausprobiert, um daraus ein einzelnes Kraftpaket zu machen.

Als Beispiel finde ich da “Go Down” ganz interessant, da ich mir den Song auf dem Debüt kaum hätte vorstellen können. Das Stück lebt nicht von Wendungen und verrückten Ideen, sondern von seiner geradezu nüchternen, aber ausgefeilten Instrumentierung, die den Song zusammen mit dem Gesang trägt.

Der Song ist für mich auch der poppigste von allen und gleichzeitig aufgrund des dezenten Ansatzes, den Fuß mal vom Gas zu nehmen, absolutes Neuland gewesen. Für unsere Verhältnisse ist das fast schon Standardrock. Aber es war auch interessant mal zu spüren und zu erleben, wie so ein Song bei uns wirkt. Mit dem Ergebnis bin ich jedenfalls auch recht zufrieden.

Mir gefällt der Song auch ziemlich gut und obwohl er, wie du sagst, der poppigste Song auf dem Album ist, ist er auch ein gutes Beispiel dafür, dass ihr euch mehr vom klassischen Songschema verabschiedet und Alternativen zum Strophe-Refrain-Strophe Schema sucht – man höre sich nur Quicksand oder eben Go Down an.

Das ist grundsätzlich etwas, das ich vielleicht sogar intuitiv zu vermeiden versuche – also die Songs in diesem A-B-A-B-Schema zu fahren. So etwas langweilt mich sehr schnell und ich höre selbst gerne Musik, die mich mit auf die Reise nimmt und mich fordert, weil ich etwa nach der Hälfte etwas Neues zu hören bekomme und nicht diesen Fünfminutensong, der zum einhundertsten Mal den gleichen Refrain bringt. Das ist einfach etwas, das wir alle von den Hörgewohnheiten her bevorzugen, und so schreiben wir dann auch unsere Songs.

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Es wird live einfach schwierig, wenn die Leute nicht sofort verstehen, was wir mit unserer Musik meinen. Dann muss man als Künstler auf der Bühne noch mehr performen, um den Leuten die Bedeutung der eigenen Musik auch zu zeigen.

Inwiefern hat bei solchen Fragen auch Fabio Trentini (Produzent von GUANO APES, SUBWAY TO SALLY – Anm. d. Verf.) eingewirkt, mit dem ihr ja während der Produktion zusammengearbeitet habt.

Grundsätzlich haben wir mit dem Fabio drei Tage gearbeitet. Wir ließen ihn in unseren Proberaum kommen, womit er uns sehr entgegen kam, denn er hatte auch selbst richtig Bock auf die Produktion. Wir haben mit ihm zusammen aber eigentlich nur drei oder vier Songs gemacht. Dabei sind wir zusammen die Songs durchgegangen, da wir die Erfahrung machen wollten, wie die Zusammenarbeit mit jemandem ist, der schon wirklich lange Produzent ist und bereits coole und große Platten gemacht hat. Die Frage war, wie uns jemand helfen kann, der unserer Musik objektiv gegenübersteht. Was kann so jemand aus einem Song eigentlich herausholen?

Die Songs haben sich im Endeffekt nicht wahnsinnig krass geändert, aber er hat uns kleine Kniffe gezeigt, die uns selbst schon gar nicht mehr bewusst waren. Also dass man beispielsweise einen Part ursprünglich dreimal gespielt hat, aber der Hörer ihn gerne viermal hören würde, damit er sich besser entfaltet. Dadurch, dass man diesen Part selbst schon so oft gespielt hat, merkt man so etwas aber gar nicht. Auf diese Weise hat er dann über Kleinigkeiten und objektive Hinweise schon sehr stark auf uns eingewirkt, wodurch die Songs letztendlich ein Stück besser geworden sind.

Wie seid ihr eigentlich überhaupt auf den Fabio gekommen?

Ich weiß gar nicht mehr, über wen wir den Kontakt damals hatten. Jedenfalls hatten wir ihm damals unsere erste Demo, die “GlobaLies“-EP, geschickt, von der er ziemlich angetan war. Er hat die EP anschließend auch bei mehreren Labels vorgestellt, aber wie man die Labels so kennt, gibt es dann meistens eine Ablehnung. Ein bisschen hat er für uns also in den Vorstandsetagen schon immer eine Lanze gebrochen. Als eben nun ein neues Album anstand, haben wir uns dazu entschlossen, ein solches Experiment zu wagen. Zwar wollten wir nicht das ganze Album mit einem externen Produzenten aufnehmen – das hätten wir uns wahrscheinlich auch gar nicht leisten können – aber zumindest ein paar Songs, um gleichzeitig die Erfahrung zu machen, was wir zusammen mit einer fünften Person noch aus dem Material herausholen können. Dann haben wir uns darauf geeinigt, dass wir an einem Wochenende drei bis vier Songs machen und schauen, was letztendlich passiert. Das waren ein paar sehr harmonische, lustige und erstaunlicherweise sehr verständliche Tage, obwohl wir uns zuvor nur telefonisch beziehungsweise via Mail kannten.

Wie war diesbezüglich die Rolle von SCHANDMAUL, deren unterstützende Tätigkeit erneut in der Presseinfo hervorgehoben wird? Auf der CD selbst sind sie ja diesmal nicht zu hören…

Nein, auf dem Album ist diesmal keiner drauf. Die Unterstützung hat so ausgesehen, dass der Stefan (Brunner, Schlagzeug bei SCHANDMAUL – Anm. d. Verf.) in der Vergangenheit schon immer für uns Promotion gemacht hat und uns überall bewirbt, wo es nur geht. Außerdem durften wir die Gitarren, Bass und Gesangsaufnahmen bei ihnen im Proberaum machen, weil SCHANDMAUL dort zwei getrennte Räume zur Verfügung haben. So konnten wir Regie- und Aufnahmeraum trennen, was in unserem Proberaum nicht funktioniert. Wir waren über einen Zeitraum von drei Wochen für die Aufnahmen in ihrem Proberaum, was eine sehr große Hilfe für uns war. Überhaupt haben wir im Allgemeinen einen Weg gefunden, wovon beide Seiten profitieren. Ich kümmere mich beispielsweise auf ihren Konzerten um den Merchverkauf, habe auch bei der aktuellen WETO-CD bei der Gesangsproduktion mitgeholfen und so wäscht die eine Hand die andere. Alles in allem ist das eine sehr coole Partnerschaft.

Ihr steht also noch weiter in Kontakt?

Ja, ich fahre auch im Oktober als Tourbegleitung mit WETO mit und so hängen wir eigentlich immer irgendwie miteinander zusammen. Ich muss auch wirklich im Nachhinein sagen, dass der Newcomer Bandcontest von SCHANDMAUL von allen Wettbewerben, die wir bislang gewonnen haben, derjenige ist, der uns musikalisch und als Künstler am allerweitesten gebracht hat und immer noch bringt. Also nicht vom finanziellen Standpunkt her – darum geht es dabei auch gar nicht – sondern es ist einfach enorm hilfreich, Leute an der Hand zu haben, die einen unterstützen und einem kleine Möglichkeiten bieten, um die eigene Musik machen zu können.

Trotzdem ist aber “Up Here” als Do-It-Yourself-Produkt zu verstehen…

Im Prinzip kann man Up Here” als Do-It-Yourself-Produktion bezeichnen, weil wir unsere Connections und auch die Kooperation mit Fabio Trentini selbst angeleiert und bezahlt haben. Es steht also kein großes Label dahinter, das uns großartig die Studios gebucht hätte. Wir haben aber in Eichenau mit Gerhard Wölfle in einem großen Studio von der MSG (Music Support Group – Anm. d. Verf.) die Drums aufgenommen. Wen man außerdem noch hervorheben sollte, ist der Erdem Engin, unser Tontechniker, der Gitarre, Bass und Gesang aufgenommen und das Album auch abgemischt hat. Er ist einfach ein extrem fähiger Mann im Underground-Bereich. Ich habe schon schlechtere Produktionen von Major-Debüts gehört als das, was der Erdem mit uns fabriziert hat.

Ja, ich auch! (lacht)

Das muss ich echt hervorheben, weil der Mann wirklich weiß, was er tut, und auch wirklich krasse Produktionen abliefert. Er kennt uns auch schon ziemlich lange, da wir aus der gleichen Underground-Szene in München kommen und schon lange zusammen Musik machen. Er weiß auch genau, was wir wollen, und das ist eine Menge wert. Im Grunde haben wir uns also unser eigenes Netzwerk aufgebaut.

Das ist sogar ziemlich cool, da ja euer letztes Label, Bad Lands-Records, Pleite gegangen ist. Gab es dadurch auch finanzielle Schäden für euch?

Für uns direkt gab es keine finanziellen Schäden, aber wir standen dadurch an einem Punkt, an dem wir uns dachten, dass wir das alles eigentlich auch selbst können. Es war nicht so, dass Bad Lands schlechte Arbeit geleistet hätte, aber es war für sie irgendwann eben nicht mehr tragbar und rentabel. Ich denke, in der heutigen Zeit gibt es so vieles, das man selbst machen kann und wahrscheinlich auch sollte, sofern man nicht bei einem Major Label ist. Solange man dort nicht in den Top Ten agiert, ist es auch gar nicht so ungeschickt, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und die damit verbundenen Einnahmen bei sich zu behalten, sollte mal Kohle reinkommen. Ich glaube, sich auf Labels zu verlassen ist sowieso nicht der richtige Weg. Viele Labels sind ja am Kämpfen, machen zu und haben selbst kein Geld. In der Folge bekommt man dann Absagen, dass sie einen nicht ins Rooster aufnehmen können, weil der Stil nicht zum restlichen Line-Up passt und dabei bedeutet das oftmals eigentlich nur, dass sie nicht über die finanziellen Mittel verfügen. Bei vielen Labels ist das dann der Fakt und gerade wenn man solche Musik macht wie wir, sollte man sich auf Labels nicht mehr unbedingt verlassen. Da ist es dann besser, auf eigene Faust zu handeln und das Ganze etwas tougher anzugehen.

Also wollt ihr euch auch ein Stück weit bewusst von den Labels distanzieren?

Nein, nicht unbedingt. Es hängt natürlich davon ab, ob ein Angebot von einem Label kommt, das uns wirklich tatkräftig unterstützen möchte und auch eine Marktmöglichkeit sieht, uns an die Leute zu bringen, die uns gerne hören würden. Dann würden wir uns natürlich nicht dagegen sträuben. Aber wir haben in der Vergangenheit auch genug Versprechungen und irgendwelche Zusagen gehört, die dann nicht gehalten wurden. Irgendwann kommt dann der Entschluss, sich selbst um alle Angelegenheiten zu kümmern, bevor man sich um solche Dinge den Kopf zerbricht. Das ist dann in etwa die Quintessenz daraus. Wie gesagt, einem Label stehen wir nicht negativ gegenüber, solange es uns unterstützt, uns Arbeit abnimmt und in beider Seiten Interesse handelt. Ich glaube unser Problem ist, dass wir noch nicht ganz die Zielgruppe erreicht haben, die wir eigentlich erreichen wollen. Dazu muss man aber gewisse Wege erschließen, um die Musik an den Mann zu bringen.

Artwork
Es gibt sehr viele Deutungen und deshalb gefällt mir dieses Symbol auch so gut – weil man darin fast alles sehen kann.

Das klingt in meinen Ohren auch sinnvoll. Dann machen wir hier mal einen kleinen Schnitt und springen mal direkt zum Album, beziehungsweise zunächst zum Artwork. Die Faust mit dem eingeschlossenen Daumen ist ja schon seit geraumer Zeit euer Logo. Ein Symbol für konstruktiven und friedlichen Widerstand?

Es gibt da ganz verschiedene Deutungen. Der Pazifismus, den du darin siehst, ist an und für sich schon richtig, da man mit einer Faust, die den Daumen eingeschlossen hat, nicht zuschlagen kann. Trotzdem ist sie ein gefühlter Widerstand beziehungsweise ein gefühltes Zeichen von Widerstand. Außerdem hat die Geste in vielen Ländern eine sehr unsittliche Bedeutung. Dort gilt sie dann als eine schärfere Variante des Mittelfingers, was irgendwo auch eine Punk-Attitüde beinhaltet. Bei manchen afrikanischen Stämmen wird den Kriegern außerdem dieses Symbol als Talisman mitgegeben, welchen sie immer bei sich tragen, wenn sie in den Kampf ziehen. Zusätzlich hat die Faust von mir ausgehend noch eine familiäre Bedeutung, da in meiner Familie mehrere Personen diese Handhaltung unbewusst einnehmen. Ich weiß nicht, warum wir das machen, aber wir erwischen uns immer gegenseitig, wie einer von uns mit dem Daumen zwischen den Fingern dasitzt. Es gibt also sehr viele Deutungen und deshalb gefällt mir dieses Symbol auch so gut – weil man darin fast alles sehen kann.

Das passt auch gut zu eurer Einstellung als Band.

Eben, das fast alles eigentlich sehr gut zusammen, weshalb das nach wie vor die Symbolik der Band ist.

Die Texte liegen mir leider nicht vor, aber die Presseinfo spricht von einer Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche, Egozentrismus und Emotionen in der multimedialen Gesellschaft. Gerade Quicksand erinnert mich mit der dort eigennützig angebotenen Hilfe an die ambivalente Praktik vieler moderner Sekten.

Genau richtig, die Grundthematik, um die es in Quicksand geht – egal ob man es auf Sekten bezieht oder zwischenmenschliche Beziehungen – befasst sich damit, dass so genannte Freunde dir in schlechten Zeiten Hilfe anbieten, du dich diesen Menschen ganz weit öffnest und dafür dann letztendlich einen Preis zahlen musst. Diese Menschen verhalten sich praktisch wie Treibsand. Sie sind falsche Freunde, die dich irgendwann in diesen Sumpf hineinziehen. Die Sektenthematik passt da auch sehr gut, ja. Die Texte gibt es aber mittlerweile bei MySpace.

Ah, dann bin ich wohl nicht auf dem aktuellsten Stand. Auch bei “Go Down” zeichnet sich ein Abhängigkeitsverhältnis ab. Sind zwischenmenschliche Hierarchien und deren Beweggründe und Folgen generell ein zentrales Motiv auf “Up Here”?

Ja, es hat schon sehr viel mit Machtverhältnissen – auch auf zwischenmenschlicher und sozialer Ebene – zu tun. Man schimpft ja immer sehr einfach auf die politischen Machtverhältnisse und das, was die da oben tun. Im Prinzip passiert aber vieles schon viel weiter unten. “Go Down” beschäftigt sich sehr stark auch mit sexueller Macht. Als Beispiel fällt mir da eine Disco-Situation ein. Ein Typ oder ein Mädchen versucht den jeweils anderen zu erobern, aber es geht dabei nicht um den Menschen, sondern man versucht nur seinen eigenen Marktwert zu errechnen, indem man Gewalt über den anderen bekommt. Es ist ein Markt der Eitelkeiten, wenn du verstehst, was ich damit meine. Das bezieht auch Dinge wie “Germany’s Next Topmodel” im Fernsehen mit ein und wie diese ganzen Geschichten heißen. Alles ist extrem auf das Äußere bezogen und daran wird die eigene Wertigkeit gemessen. Also, wie stark bin ich? Wie viel Macht habe ich über andere Menschen? Wie wichtig ist es mir, dass mich andere Menschen angucken? Was ist der eigene Ego-Gewinn, den ich daraus ziehen kann? Das ist der Grundgedanke hinter “Go Down”.

Ich finde es interessant, dass du das Discobeispiel genannt hast, weil genau so etwas ist mir bei “Woohaa!” in den Kopf geschossen. Der Song ist für mich eine Abrechnung mit einer nach außen hin immer oberflächlicheren Generation und als Statement, dass es auch noch Individualität gibt.

Die beiden Songs stehen stark miteinander in Verbindung; “Woohaa!” dreht sich um eine ähnliche Situation. Stell dich zum Beispiel nachmittags um Vier nüchtern auf dem Oktoberfest ins Bierzelt und überlege, welchen Eindruck du da bekommst. Das passt eben ganz gut zu “Woohaa!”. Es ist dieses allgemeine Gefühl, dass wir eine wahnsinnig zivilisierte Welt sind, aber andererseits verrecken so viele Menschen immer noch an Hunger und es werden nach wie vor Kriege geführt. In vielen Bereichen verhält sich der Mensch immer noch wie ein Neandertaler und dieses tierische Impulsverhalten ist meiner Meinung nach noch lange nicht überwunden. Es wurde einfach nur an die Grenzen unserer ersten Welt gedrängt, zeigt sich aber trotzdem in vielen Situationen. Die Discosituation ist ein sehr vereinfachtes und natürlich unvollständiges Beispiel, aber vermittelt trotzdem einen Eindruck von dieser Thematik, wie ich finde.

Man kommt sich in unserem Alltag immer so wahnsinnig zivilisiert vor und denkt, dass man schon so viel weiter ist als die Leute vor 200-300 Jahren. Dann fährt man aber ein paar Tausend Kilometer weiter und dann sieht es plötzlich genau so aus wie damals und die Menschen verhalten sich auch so. Ich meine damit nicht direkt die Menschen, die dort leben, denn denen bleibt oft keine andere Wahl, sondern ich meine damit, dass die Menschen dort so leben müssen, weil wir so leben, wie wir es hier eben tun. Also verursachen wir mit unserem Lebensstil gewisse Dinge überhaupt. “Go Down” und “Woohaa!” sind diesbezüglich miteinander verknüpft, weil beide Songs mit falscher Eitelkeit zu tun haben. Es geht um eine Sache, die eben nur an der Oberfläche existiert.

Ist der titelgebende “Woohaa!”-Part mit seinen nicht-sprachlichen Lauten in dem Zusammenhang eine Anspielung auf primitives, steinzeitliches Verhalten?

Ja genau, das ist der Primat, der sich da zu Wort meldet.

Aber ich denke, das hat bei euch weniger mit Misanthropie zu tun als mit Aufklärung…

Wenn man die Texte so liest und das Album so auf sich wirken lässt, kann ich mir vorstellen, dass man auf die Idee kommen könnte, wir wären totale Menschenhasser und absolut negative Typen. Aber man muss das Album auch als Paket sehen und als Moment für uns als Band, wo wir uns mal massiv auskotzen und gewisse Dinge direkt ansprechen können. Ich halte nichts davon, einen Song, beziehungsweise seine Thematik, zu beschönigen, nur damit niemand Depressionen bekommt. Es geht um Themen, bei denen einem manchmal einfach die Galle hochkommt und die sollte man in dem Moment dann auch rauslassen. Ich glaube live ist das Ganze bei uns sowieso immer trotzdem freudig verpackt und man kann diesen kathartischen Effekt live dann auch genießen.
So gesehen ist es ein sehr depressives Album mit sehr düsteren Themen, aber ich denke, wie gesagt, dass es ein sehr wichtiger Effekt ist, dies in der Kunst auch auszuleben und auszudrücken.

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Ich halte nichts davon, einen Song, beziehungsweise seine Thematik, zu beschönigen, nur damit niemand Depressionen bekommt.

Bei “I Don’t Believe” hatte ich das Gefühl, dass es um eine Art Kommunikationsproblem geht, genauer gesagt um die ständige Heuchelei, die immer und überall stattfindet. Im Endeffekt ist sich doch jeder selbst der Nächste.

Um den Song mal auf ein Beispiel zu reduzieren, ist die Thematik vergleichbar mit diesem Bio-Trend, der derzeit herrscht. Wir sind nun alle wahnsinnig gute Menschen, weil wir jetzt Bio-Produkte kaufen. Wir kaufen bei Starbucks den fair gehandelten Kaffee, unterstützen aber trotzdem weiterhin die Firma, die mit hundert weiteren unfair gehandelten Kaffeesorten Profit macht. Es geht um dieses Trendverhalten und diesen Hype, ein guter Mensch zu sein und trotzdem ignorant zu bleiben. Man etikettiert sich eigentlich nur mit diesen Labels wie Bio oder Fair. Die Grundhaltung zu diesen Sachen hat sich aber nicht verändert, beziehungsweise viele Leute beschäftigen sich nicht mit den Gründen, warum sie etwas tun. Sie tun es einfach, weil es Mode ist, weil es gerade in ist. Diese Ignoranz ist aber eigentlich das Grundproblem an diesen Dingen. Ich denke, da gibt es einfach sehr viele Trittbrettfahrer und ich glaube auch, dass sich bei diesen Sachen jeder einzelne Mensch oft selbst erwischen kann. Man schreibt oder sagt oft gewisse Dinge, die man selbst nicht wirklich durchdacht hat. Deshalb auch diese kritische Hinterfragung im Text: “I don’t believe a word we say.” – Ich glaube manchmal selbst nicht, was wir so sagen. Denn diese Ignoranz ist bei vielen Menschen eben da; manchmal absichtlich und manchmal unabsichtlich. Trotzdem gibt es eine Menge Leute, die sich gerne als extrem gut hinstellen. Bestimmte Produkte zu kaufen oder bestimmte politisch korrekte Äußerungen zu tätigen, vermittelt ja auch oft ein gutes Gewissen, da man dann auf der sicheren Seite ist.

…obwohl man es eigentlich besser weiß. Das erinnert mich ein wenig an George Orwell, Stichwort double-think.

Ja, der kommt da wieder hoch (beide lachen).

Im Herbst erscheint “Up Here” dann richtig, oder?

Ja, aber was du noch nicht weißt, ist, dass wir mittlerweile eine Umbesetzung am Bass hatten. Wir haben also einen neuen Bassisten, da der JJ aus persönlichen und zeitlichen Gründen nicht mehr dabei sein konnte. Momentan üben wir uns neu ein und wollen uns dann für Oktober in München eine Location suchen, um das Album dann richtig zu veröffentlichen. Was danach kommt, werden wir sehen.

Wird das Album nur direkt bei euch erhältlich sein, oder gibt es auch Pläne, mit einem Vertrieb zu kooperieren?

Ein Vertrieb wird natürlich auch gesucht. Falls das nicht klappen sollte, wird es “Up Here” auf jeden Fall über unsere dann neue Homepage geben sowie über unsere Kontaktadresse (info@loonataraxis.de). Außerdem kann man die Platte dann natürlich auf unseren Konzerten kaufen oder digital via iTunes, Amazon und Co. Ein Vertrieb wäre schon spitze, aber da muss man einfach noch abwarten. Das Album wird aber auf alle Fälle zugänglich gemacht.

Stichwort Konzerte: Ist dann im Herbst / Winter eine Minitour geplant, oder zumindest ein paar Konzerte auch außerhalb Bayerns?

Da sind wir noch am Buchen. Aber ich denke ab August / September werden wir die Termine veröffentlichen. Bis jetzt kann ich noch nichts Genaues sagen, wann und wo man uns sehen kann. Das hängt oft auch von den Locations ab. Eine kleine Mini-Tour sollte aber schon drin sein.

Till, ich bedanke mich für deine Zeit, eine Frage zum Abschluss habe ich aber noch. Stell dir vor, ein Zombie lebt in deinem Schrank und er fängt langsam an lästig zu werden, da er ständig versucht, dein Gehirn zu essen. Also willst du ihn töten, aber alles was du hast ist eine Karotte, ein Stück Schnur, einen schizophrenen Hamster und einen schottischen Dudelsack. Was machst du?

Also, den Dudelsack verkaufe ich auf eBay, da er sehr antik ist und man deshalb sehr viel Geld dafür bekommen kann. Den Hamster dressiere ich mit der Schnur und der Karotte, den Zombie aus dem Schrank zu locken.

Und dann wirst du gefressen?

Hm, ja das ist auch doof. Das funktioniert so nicht. Aber der Zombie ist ja im Schrank eingesperrt und wenn ich ihn rauslasse, packt er mich. Das ist schwierig, aber ich glaube ich muss einfach mit dem Zombie im Schrank leben, so was hat ja auch nicht jeder. Ich stecke also einfach den Hamster mit der Karotte in den Schrank und warte ab, was passiert.

Pressefoto und Cover-Artwork © Loonataraxis
Live-Fotos © Tatjana Braun (http://www.tati-net.de)

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