ROCKTOWN OPEN AIR 2001

Entgegen der normalen Konzertberichte könnt ihr im ROCKTOWN Bericht von Jens Koch einen Blick hinter die Kulissen eines Festivals werfen. Genießt einfach diese Sichtweise anstatt – wie sonst – akribische Bandbeurteilungen zu erwarten!

vampster.com präsentierte:

Rocktown Open Air 2001 – 28.07.2001 Bebra, Biberkampfbahn

Die Idee, der Event, der Underground lebt!

Waldhessen! Selbst wenn hier die Gebrüder Grimm die Ideen, Legenden und Sagen für ihre Märchen gesucht und gefunden haben und das Land quasi als Inspiration prädestiniert für Heavy Metal Fantasy Lyrik scheint, gibt es nur wenige Fans, kaum Bands und schon gar keine Konzerte dieses Genres. Dieser Missstand hat sich geändert, seitdem der „Rocktown“ Verein vor rund zwei Jahren aktiv wurde. Ich bin in dieser Gegend geboren und es war wohl mein vorbestimmter Weg, ein Teil des Rocktown Teams zu werden. Entgegen der normalen Konzertberichte könnt ihr dadurch einen Blick hinter die Kulissen eines Festivals werfen. Genießt einfach diese Sichtweise anstatt – wie sonst – akribische Bandbeurteilungen zu erwarten.

Seit dem ersten Rocktown Open Air 1999 gab es sechs Clubshows und drei Festivals der härteren Gangart. Doch diese Veranstaltungen stattfinden zu lassen, war erst der halbe, der leichte Weg. Viel schwieriger ist es, die Musikfans aus ihrem Dornrösschenschlaf zu wecken. Dahinter steckt viel Arbeit, viel Enthusiasmus und immer die Angst, die Kosten durch mangelnde Besucherzahlen nicht decken zu können. Doch der Erfolg im Heavy Metal definiert sich selten in Zahlen oder Banknoten.

Rocktown funktioniert durch eine ausgefeilte Organisation und viele euphorische ehrenamtliche Helfer. Beim diesjährigen, dem dritten Rocktown Open Air Festival in Bebra waren es ganze 50 Metalfans, die während der zwei Tage Aufbauzeit, dem eigentlichen Festivaltag am 28.7.2001 und den zwei Tagen Abbau- und Aufräumen mithalfen. Zu den Helfern gehörte jeder, der sich bei uns meldete und engagiert mithelfen wollte. Die eigentliche Vorbereitung begann bereits zum Jahreswechsel 2000/2001. Die Genehmigungen wurden eingeholt, die Bandauswahl getroffen und vertraglich abgesichert, der Ablauf geplant, das Rahmenprogramm festgelegt und den erwarteten Bedürfnissen der Besucher entsprochen. Dass kurz vor der Veranstaltung trotzdem das totale Chaos ausbrechen würde war natürlich so sicher wie das „Fuck Posers“ auf einem Manowar Konzert.

Zuallererst wurde der Termin in den Fachzeitschriften falsch abgedruckt – Nochmal an alle: Hallooooooo, das Rocktown Open Air ist vorbei!!! Wer trotzdem am 27.8. anreist, kann gerne einen Kaffee oder ein Bierchen mit uns trinken – Mucke kommt dabei allerdings nur aus der Konserve.

Während der Aufbauzeit wurde es dann noch enger. Der Toilettenwagen war fahrunfähig, stand aber noch 20 km entfernt, Wasserschläuche fehlten, Kabeltrommeln waren zu kurz, Kassenhäuschen waren deplaziert, gesicherte Stromanschlüsse fehlten, usw. Alles Probleme, die man einfach nicht mit einplanen kann. Eilig wurden unter den Helfern einige Special Agents rekrutiert, die alle Register ihres „Vitamin B“ zogen und die Probleme lösten. Aber genug von der negativen Seite, denn vor uns stand ein Event, den Waldhessen noch nicht gesehen oder besser „gehört“ hatte.

Das wichtigste an einem Festival sind immer noch die Bands. Und bei diesem Open Air hatten wir wirklich ein goldenes Händchen:

Bondage: Wer kennt sie nicht aus dem Radio, die Skunk Anansie Hits ‚Hedonism‘, ‚Weak’, ‚Selling Jesus’ oder ‘Twisted’? Und wer pünktlich um 16 Uhr auf dem R:O:A Gelände gelauscht hat, wird kaum einen Unterschied zwischen dem Original und den Covertunes von BONDAGE festgestellt haben. Erst als man einen Blick auf die Bühne geworfen hatte, war unmissverständlich klar, dass es sich hier um vier Vollblutmusiker handelte, die mehr Wert auf musikalische Brillanz als optische Umsetzung des Skunk Anansie Outfits legten. Trotzdem, oder gerade deswegen in der glühenden Nachmittagshitze eine angenehme Einstimmung auf ein, noch viele Highlights versprechendes Festival.

Pain Department: Ebenso kraftgeladen wie ihre Musik ist auch die Einstellung der jungen New Metal Band Pain Department aus dem 14 km entfernten Bad Hersfeld. Kurzfristig und überraschend gut steckte die Combo den krankheitsbedingten Ausfall ihres Fronters Andy Boback und die technischen Probleme auf der Bühne weg. Die Band spielte arschtight, Ersatz-Sänger und normalerweise Gitarrist Harald brüllte sich die Seele aus dem Leib, die fetten Hardcore Riffs brutzelten ebenso heftig wie die Sonne und mein Fazit beschreibt die Band in etwa als „Crowbar on speed“.

Perfact Crime: Die Bremer Musikanten hatten schwer zu kämpfen. Ihr melodischer Metal war gänzlich unbekannt in diesen Gefilden, das Festivalgelände war immer noch sehr schwach besiedelt und nach meinen Geschmack präsentierte sich die Band im Image etwas ideenlos. Durch die richtige Einstellung der Musiker und großen Spaß an der Sache sprang der Funken jedoch leicht zu den supportwilligen Fans vor der Bühne über. Die jahrelange Erfahrung von Perfact Crime war jederzeit in den griffigen Songs und den agilen Musikern zu spüren. Leider war keine der berüchtigten Coverversionen von Rainbow oder Breaker auszumachen. Ein Plattenvertrag wurde vor kurzem unterzeichnet und ich bin gespannt darauf, mehr von den sympathischen Sextett zu hören.

Excelsis: Der Importschlager aus der Schweiz war der erste heimliche Höhepunkt für viele Besucher. Excelsis Konzerte sind in der Bundesrepublik – immerhin der größte europäische Markt für Heavy Metal – sehr rar gesät. Langsam aber sicher füllten sich die Reihen vor der Bühne. Zu recht, denn die Musiker aus der Alpennation präsentierten auch musikalisch einen Exotenstatus. Es kamen Flöten und Hörner zum Einsatz und auch die gesamte Performance glänzte durch variable Eigenständigkeit – ohne jedoch die Basis des Heavy Metal zu verlassen. Mittlerweile zeichnete sich ab, dass die Besucherzahlen unter den Erwartungen zurückbleiben würden, trotzdem hat diese Band bestimmt einige neue Fans gefunden.

Dark Age: Was At The Gates irgendwann Anfang der Neunziger einmal angefangen haben, trägt jetzt seine volle Blüte. Gemeint ist der sogenannte Melodic Death Metal. Neben dem Hauptsitz in Skandinavien gibt es auch in Deutschland sehr gute Bands dieses Genres. Und Rocktown weiß welche Bands das sind. Letztes Jahr hatten Burden Of Grief unser Open Air veredelt, dieses Jahr waren es Dark Age aus Hamburg. Die Abenddämmerung hatte bereits vollen Besitz vom Konzertgelände ergriffen und erstmals kam die Lightshow zur Geltung. Sie unterstrich die astreine Performance, die von allen Gigs dieses Tages die meisten begeisterten Zuschauer in ihren Bann zog. Dem Feedback mehrere Tage nach dem Festival zufolge blieben von Nackenschmerzen bis zum Besuch beim Ohrenarzt viele Erinnerungen an dieses Dark Age Konzert zurück.

Thunderstorm: Und jetzt war endlich die Stunde des Abends gekommen, der ich entgegenfieberte: der erste Thunderstorm Gig außerhalb Italiens. Epic Doom Metal begeistert mich seit seligen Candlemass Zeiten. Genau diesen Stil zelebrieren Thunderstorm und ich konnte es kaum erwarten, ihn live zu durchleben. So ging es auch vielen weiteren Die Hard Fans, die sich vor der Bühne sammelten und die vier Italiener frenetisch abfeierten. Ich könnte hier jetzt die nächsten 5 Seiten über diesen genialen Gig schreiben. Der Fairness und eurem Lesebedarf zugute will ich mich aber kurz fassen. Es bleibt nur noch zu sagen, dass der Gig – vom Publikum gefordert – als Zugabe um ein Black Sabbath Medley erweitert wurde, bei dem diverse Fans die Bühne stürmten um Vocalist „Thunder“ zu unterstützen und für diverse „Special Performance“ sorgten.

Custard: Nach Thunderstorm brauchte ich zuerst ein wenig Pause bzw. musste ich mich um organisatorische Dinge kümmern. Als ich jedoch vor die Bühne zurückkehrte, hatten die True Metalheads einen ordentlichen Fancrowd zum moshen gebracht. Custard wurden also trotz einiger Befürchtungen um ihren Bekanntheitsgrad der Rolle eines Headliners gerecht. Nicht nur das, denn die Fans wollten die Musiker gar nicht mehr von der Bühne lassen und forderten mehrere Zugaben, die von der Band bereitwillig gespielt wurden. U.a. intonierten Custard auch „Future World“ von Helloween, ein „heiliger“ Klassiker, der in dieser Version recht achtsam durch die Boxen rauschte. Als stünden die Zeichen nicht günstiger, erwischte mich während der letzen Zugabe ein heiratswilliger Fan aus dem Publikum. Der darauf folgende Heiratsantrag auf der Bühne hätte – balladesk unterstützt durch Custard – als Abschluß des Rocktown Open Airs nicht romantischer ausfallen können.

Der Sound vor der Bühne war bei jeder Band sehr gut differenziert und angenehm und die Atmosphäre auf dem Festival war sehr entspannt – kein Wunder bei der Hitze am Nachmittag. Leider waren es letztendlich nur 382 Musikfans, die den Sportplatz unseren diesjährigen Austragungsort in Bebra bevölkerten. Die dabei waren, verstanden allerdings zu feiern und so kamen und kommen noch Wochen nach der Veranstaltung die witzigsten Anekdoten ans Tageslicht.

Gefeiert wurde logischerweise noch die ganze Nacht, auch nachdem Custard um ca. 1 Uhr die Segel strichen.

· Unsere Helfer am letzten offenen Bierpilz – selbst nicht mehr ganz nüchtern – steigerten sich durch die zahlreiche Nachfrage in einen wahren Rausch zwischen Ausschenken, Chips kassieren und für Nachschub sorgen. So kam es, dass irgendwann ein leeres 50L Bierfass im hohen Bogen aus dem engen Getränkepilz flog. Kommentar des Täters: „Schnell, ich brauch neues Bier!“

· Natürlich feierten die Musiker Arm in Arm mit. Irgendwann mitten in der Nacht viel Mick von Perfact Crime ein, dass sein teures Gitarren Equipment noch auf der Bühne stand. Daraufhin suchte er alle Geräte und Kabel zusammen und sortierte alle Einzelteile sorgfältig in seinen Koffer: Leider scheiterte er letztendlich an der Bühnentreppe, die Schwerkraft muß übermenschlich gewesen sein. Am nächsten Morgen stand der Koffer fein säuberlich direkt neben der Bühne.

· Ich glaube Schweizer kommen in Wirklichkeit vom Mars. Nicht nur, dass man sie trotz deutscher Sprache nicht mehr verstand, sobald man sich umdrehte – auch die Lebensenergie muß überdimensioniert sein: Excelsis verließen noch am selben Tag ihrer Ankunft (und zwar um 3.00 Uhr nachts) mit ihrem Equipment unter den Armen per Zug (!) Rocktown Bebra in Richtung Heimat.

· Eine ähnliche Tortur durchlebten Thunderstorm mit ihrem Wohnmobil. Die Italiener genossen die nächtliche Party bis zum Exitus und wären – sobald es hell war – doch glatt ohne ihre Gage abgehauen, wenn R:O:A Organisator Hans sie nicht noch im letzten Moment abgefangen hätte. Ich selbst hatte mich wenige Stunden zuvor völlig übermüdet mit Bandbegleiter und Reportergröße Sandro Buiti unterhalten und merkte erst im Laufe des Gesprächs, dass Sandro in fließendem Deutsch antwortete. Nachmittags hatte ich mir noch mit Mühe alle Worte in Englisch rausgeleiert, um für Verständigung zu sorgen. So ein Schelm….

· Während des eigentlichen Konzerts gab es auch schon berichtenswerte Anekdoten. So fragten einige Musiker an, ob es denn Probleme gäbe, wenn sie zu späterer Stunde mit fremder Damenbegleitung in den Backstagebereich wollten. Und wirklich, während des Thunderstorm Gigs trat eine junge Blondine an mich heran (der Name ist mir bekannt, wird aber nicht verraten :-)), ob ich sie nach dem Gig denn nicht mit dem Thunderstorm Gitarrist bekannt machen könnte. Der weitere Verlauf ist leider nicht an die Öffentlichkeit gedrungen.

· Und auch vor dem Festival gab es witzige Momente. Z.B. Anfragen für den Kauf von Backstagekarten oder die Frage des zuständigen Polizeibeamten bei der Anmeldung des Festivals: „Rechnen sie denn mit Ausschreitungen? Sollen wir einen Mannschaftswagen bereit halten?“ – Da war dringend Aufklärung nötig. Dark Age kamen übrigens als erste, bereits in der Nacht vor dem Festivaltag an und mussten über die Zäune klettern, um auf das Gelände zu kommen. Sie waren es auch, die als letzte Gruppe das Gelände verließen, denn einige Bandmitglieder brauchten scheinbar etwas länger.

· Der obligatorische Frühschoppen am Sonntagmorgen war Pflicht. Es wunderte mich also nicht wirklich, als frühmorgens ein Taxi zu den letzten stehenden bzw. sitzenden Gästen auf den Platz rollte, eine Kiste Bier ablud und sich wieder vom Acker machte. Handy sei dank!

· Einen besonderen Stammgast möchte ich hervorheben. Er war es, der letztes Jahr nach dem Festival auf dem alten Gelände ein unfreiwilliges Bad in der angrenzenden Fulda nahm. Dieses Mal glänzte er wieder als DieHard Fan, denn er war der letzte, der noch Stunden nach Tagesanbruch, während alle anderen bereits aufbrachen und das Aufräumen begann, die Fahne des Rock’n’Roll hochhielt, festivalverzehrt auf den Bänken verweilte und sternhagelmüde die Stellung hielt.

· Die Krönung war jedoch der Gästebucheintrag auf der Rocktown Website, der von einer Kutte handelte, die am Montag nach dem Event in der Nähe des Geländes am Straßenrand gefunden wurde. Ein Fan hatte sie dort aus irgendeinem Grund hinterlegt. Unseren Recherchen zufolge war die Weste nicht das einzige Kleidungsstück, das der Fan unterwegs verlor.

Hier nun eine Auflistung der Materialien die auf dem Festival für ca. 350 Personen verbraucht und verarbeitet worden sind.

600 Liter Krombacher Bier, 2 Kisten Gerolsteiner Bier, 21x 1,5 L Wasser, 195 Liter Coke/ Fanta/Sprite, 120 Liter Hochstädter Äpfelwein, 6x Jack Daniels 0,7L, 2x Wodka Gorbatschov 0,7L, 1x Jim Beam 0,7L, 2x Sierra Tequilla braun 0,7L, ca. 15 Rollen Toilettenpapier, 30 Fladenbrote, ca. 50 Liter Chili Concarne, 3 Schüsseln Nudelsalat, ca. 2L Tzatziki, 2 Pfund Kaffee, 250 Kabelbinder, 40 Europaletten, 30 Bauzäune, 2 Stromverteiler, 400 Meter Wasserschlauch.

zurückgeblieben sind:

120 Kg Müll, 2 (fast leere) Geldbörsen, 1 Sonnenbrille (in Einzelteilen), 1 Kutte, 1 Paar Schuhe, diverse einzelne Socken, 8 Feuerzeuge, ca. 2 Mrd. verlorene Gehirnzellen.

Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, kann gerne auf der Rocktown Website mehr Informationen erhalten. Der nächste Gig des Vereins findet am 3. November im Jugendhaus Bad Hersfeld statt. Bands befinden sich derzeit in der Planung.

Jens Koch

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