BOHREN UND DER CLUB OF GORE: Dolores

BOHREN UND DER CLUB OF GORE und ihre Hitplatte.

Ich weiß, du weißt, wie jeder weiß, dass die Geschwindigkeit ein so maßgeblicher Teil des Lebens ist, dass wir sie gar nicht mehr zu schätzen wissen, oder möchtest du heutzutage für eine Strecke von fünf Kilometern noch immer eine Stunde brauchen? Sicherlich nicht, aber gerade deshalb ist die Geschwindigkeit auch ein Feind, etwas Böses, denn niemals wird eine Waffe nur zur Verteidigung erschaffen. Wir alle sind am Ende, keiner kann mehr schneller, also ist es die einzige Alternative so langsam zu sein, dass den Arschlöchern hinter dir fast der Kopf platzt, weil du niemanden vorbei lässt.

Und deshalb tanzt du wie ein kleiner Harlekin auf dem Knochenberg, hoch erfreut mal wieder so unkonventionell zu sein und dich abzuheben, denn wer hält schon aus, was du locker wegsteckst? Hier sind wir bei den Schmerzen angelangt, oder geht es in diesem Opus Minimum etwa doch um Kathy Bates? Nein, es geht um niemanden. Es ist einfach nur ein schwarzes Loch, halt schwarz ist etwas anderes, das hatten wir schon vor sechs Jahren. Und diese besondere, leuchtende Schwärze will auch niemand imitieren oder kopieren, warum etwas nochmals versuchen, dass eh schon perfekt ist? Eben. Warum noch langsamer, wenn nicht mal ein Geist mit zum Kampfe bereiter Faust, der ironischerweise genau dabei schon wieder gestorben ist, schon sein Bestes im Bereich des Stillstands versucht hat?

Für ungeübte Ohren und Menschen mit sehr eindimensionaler Vorstellungskraft, zu denen wir beide natürlich nicht gehören, mag die heilige Messe der Schmerzen sich nicht groß von dem abheben, was wir schon Jahre zuvor verinnerlicht haben, aber Dolores ist eine wahre Schönheit, ja, so könnte eines Tages mein Kind heißen, denn mehr Stil zu haben ist schier unmöglich. Wie das Orgelblut auf den Unkerich tropft, wie die Schwarze Biene Karin sticht, wie sich der Staub ganz heimlich Still am Tresen ausbreitet und wie von Schnäbeln alles zerhackt wird, sodass wir in unseren Welten Faul werden, das ist ein Film im Kopf, der ein wenig positiver und nicht ganz so rauchig-schwarz und neblig-trüb ist, wie der Film Noir namens Black Earth. Hier haben eher Edgar Wallace und Angelo Baldametti ihre Finger im Spiel, allerdings scheint es so, als seien die Zöglinge BOHREN UND DER CLUB OF GORE ein wenig auf, ähem, schlimmen Drogen hängen geblieben.

Aber das ist ja auch nichts Neues. Denn diese subversive Meditation verändert die Wahrnehmung, es ist großartig bei Nebel durch die Straßen zu laufen, oder eher zu schleichen, wenn man sich dem ganz hingibt, plötzlich lauern überall Gefahren, im Gegensatz zu Black Earth ist allerdings die größte Gefahr nicht, dass ein in ein Trenchcoat gehüllter Mutant (halb Mensch, halb Dämon) um die Ecke biegt und deine Nieren mit einem Schlag entfernt, sondern dass hinter diesem Verfallenen, riesigen Haus plötzlich doch ein Sonnenstrahl durch die rissige Fassade dringt, der die Nacht unwideruflich enden lässt. Und genau das sind die Schmerzen, mit denen Dolores spielt.

Die Reduzierung der Finsternis ist extrem gekonnt und genau dieses hinterhältige Spiel verschafft dem hier eine so einzigartige Atmosphäre. BOHREN UND DER CLUB OF GORE sind viel erwachsener als in der Vergangenheit, die im Vergleich zu Dolores wie ein Holzhammer wirkt. Hier ist zerbrechliche Schönheit gekoppelt an den puren Horror, die sanften Töne von Vibraphon, Fender Rhodes, Alt- und Baritonsaxophon, Kontrabass, mit Besen gespieltem Schlagzeug und, neuneuneu, Vocoder haben etwas so Schönes und doch Bestialisches an sich, sind entspannt wie dekadent. Gerade dann, wenn vermeintlich nichts passiert, wird es klaustrophobisch und man dankt in unendlicher Naivität dem Herrgott, wenn endlich das Saxophon etwas Leben spendet.

Trotzdem wird sofort klar, dass BOHREN UND DER CLUB OF GORE niemals hitorientierter waren, niemals haben sie mehr den Verlockungen des Geldes erlegen, niemals haben sie ihre dunkle Seele mehr an den Teufel, die Musikindustrie, verkauft. Oder wie lassen sich einige sehr kurze Stücke erklären, wie sonst sollen derartige eingängige Passagen möglich sein? Der momentane Reichtum ist scheinbar ihnen noch nicht genug, aber sei nicht enttäuscht, der wir beide hören vielleicht gerade gleichzeitig die vielleicht schönste Musik, die das Jahr zu bieten hat, auch wenn sie den Gestank des Geldes inne hat.

Immer das Gleiche, dies ist erneut eine magische Stunde, die gerade zu verfliegt, obwohl so wenig passiert. Weder ist es Doom, noch Ambient, noch Jazz, aber doch so viel mehr, und das bei derart geringem Einsatz der Mittel. Es ist das selbe Gefühl, wie das, als zum ersten mal ein Fuß auf die schwarze Erde gesetzt wurde. Das ist auch der Grund warum Black Earth noch immer ein wenig besser ist, diese Überraschung ist auf Dolores nicht mehr ganz so enorm. Aber was kümmert uns beide das. Wir laufen in den Nebel, ob wir ankommen ist fraglich. Das wissen wir erst wenn wir da sind, oder wenn wir sterben. BOHREN UND DER CLUB OF GORE begleiten beide Szenarien.

Veröffentlichungstermin: 10. Oktober 2008

Spielzeit: 58:23 Min.

Line-Up:
Christoph Clöser – Fender Rhodes, Vibraphone, Tenor-, Baritonesaxophone
Morten Gass – Bass, Organ, Vocoder, Synthesizer
Robin Rodenberg – Bass
Thorsten Benning – Drums

Produziert von BOHREN UND DER CLUB OF GORE
Label: [PIAS] Recordings

Homepage: http://www.bohrenundderclubofgore.de

MySpace: http://www.myspace.com/bohrenundderclubofgoreofficial

Tracklist:
1. Staub
2. Karin
3. Schwarze Biene (Black Maja)
4. Unkerich
5. Still am Tresen
6. Welk
7. von Schnäbeln
8. Orgelblut
9. Faul
10. Welten

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