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KATATONIA: Ab ins Dunkle mit euch

Anders Nyström ist ein Poser. Aber ein verdammt Sympathischer. Der Gitarrist und Songwriter der schwedischen Ausnahmeband nahm sich 30 Minuten Zeit für ein Interview und gab sich offen, freundlich und nett, wie man es von einem Musiker, der solche Musik spielt und schreibt nicht erwartet. Redselig erläuterte mir der Schwede, warum so viel Zeit zwischen "The Great Cold Distance" und seinem Vorgänger verstrichen, warum Rot eine kalte Farbe und warum Licht der natürliche Feind von KATATONIA ist.

Anders Nyström ist ein Poser. Aber ein verdammt Sympathischer. Der Gitarrist und Songwriter der schwedischen Ausnahmeband nahm sich 30 Minuten Zeit für ein Interview und gab sich offen, freundlich und nett, wie man es von einem Musiker, der solche Musik spielt und schreibt, nicht erwartet. Redselig erläuterte mir der Schwede, warum so viel Zeit zwischen The Great Cold Distance und seinem Vorgänger verstrichen, warum Rot eine kalte Farbe und warum Licht der natürliche Feind von KATATONIA ist.

Vorerst einmal Gratulation an euch: Mit The Great Cold Distance habt ihr wieder ein hervorragendes Album geschrieben. Doch zunächst: Viva Emptiness ist ganze drei Jahre her, warum habt ihr dieses Mal so lange gebraucht?

Gute Frage, ich stelle sie mir auch andauernd. Eigentlich passierte nicht viel, wir hatten nur eine Europa-Tour im Jahr 2003 und spielten ein paar Einzelgigs in Europa und Kanada. Wir waren also wenig unterwegs und davon abgesehen, genauso langsam beim Songwriting wie zuvor. Aber das größte Problem gab es mit dem Musikbusiness und dem Label. Das Problem mit Peaceville ist, dass wir in Amerika eben kein Label haben. Ergo gibt es nach einer Europatour nicht mehr viel zu tun. Wir haben viel diskutiert, weil sie ihre Ausrichtung ändern müssen, wenn sie uns als Band behalten wollen. Und schwupps waren drei Jahre vorbei.

Oh mein Gott, das stelle ich mir sehr frustrierend vor.

Das kannst du laut sagen. Aber wir müssen laut Vertag noch ein Album abliefern.

Aber es lag nicht daran, dass BLOODBATH in dieser Zeit besonders zeitaufwändig waren?

Nein, wir waren eh nur zwei Wochen im Studio und da ich für deren letztes Album auch nur vier Songs geschrieben habe, war auch das Songwriting für BLOODBATH nicht wirklich zeitaufwändig. Es war mehr eine Art Entspannung als Stress.

Kommen wir zu The Great Cold Distance. Ich denke, ihr habt euch von Viva Emptiness aus konsequent weiterentwickelt – lediglich die heftigen Passagen haben eine neue Facette erhalten. In July höre ich sogar etwas MESHUGGAH-Riffing heraus.

KATATONIA
KATATONIA haben sich weiterentwickelt: Wir … wollten etwas komplexer, progressiver zu Werke gehen. Das ist eine Herausforderung für uns, vor allem da wir auf der anderen Seite eine düstere Band sind und unsere Atmosphäre nicht verlieren wollten.

Ich weiß, was du meinst und du hast gar nicht unrecht. Wir haben im Vorfeld diskutiert und wollten etwas komplexer, progressiver zu Werke gehen. Das ist eine Herausforderung für uns, vor allem da wir auf der anderen Seite eine düstere Band sind und unsere Atmosphäre nicht verlieren wollten. Das alles zu vermischen, ist ein ganz neuer Stil, der bisher noch nicht wirklich erforscht wurde.

Ich denke, du hast viele von diesen Riffs geschrieben.

Ja, aber auch Jonas (Renkse, Gesang – Anm. d. Verf.) hat fleißig geschrieben. Viele sind davon überrascht, dass er inzwischen wirklich viel von unserer Musik schreibt. Aber prinzipiell teilen wir uns beide diese Arbeit auf.

Deine Riffs hört man schnell heraus, du hast eine sehr eigene Handschrift.

Das will ich auch hoffen. (lacht)

Dieses Mal wirken sie jedoch kälter als auf Viva Emptiness und Last Fair Deal Gone Down, wodurch auch das Album sehr kalt und hoffnungslos wirkt.

Wir wollten diese Atmosphäre, diese Kälte, durch das ganze Album hindurch ziehen, wie eine Art Konzept. Hierfür waren aber auch die Leadgitarren wichtig, die ich eingespielt habe. Es sind keine Soli, aber kleine Melodien im Hintergrund, die viel von dieser Atmosphäre in sich bergen.

Ich denke, dass die Vorgängerscheiben ihre hellen, positiven Momente hatten, dieses Mal hingegen gibt es keine Lichtstrahlen, The Great Cold Distance ist dunkel bis dorthinaus. Haben sich Musik und Texte quasi gegenseitig inspiriert?

Wir wollten es insofern stimmig halten, dass wenn die Musik kalt ist, die Texte ebenso kalt sein müssen. Wir sprachen über das Gesamtbild im Vorfeld und selbst, wenn für einen neuen Song noch kein Text stand, wir gaben den einzelnen Passagen Namen, wie Szenen in einem Film. Als Jonas die Texte für das Album schrieb, wusste er genau, welches Lied welchen Text brauchte. Das ging soweit, dass wir einzelne Passagen benannten wie The Blue Tunnel – wir wussten aber genau, wie dies klang und welches Gefühl er transportierte. Auf jeden Fall hast du richtig gehört – es gibt keine Hoffnung, kein Licht auf dieser Scheibe, nur totale Finsternis.

Wenn man jetzt gehässig wäre, könnte man durchaus behaupten, KATATONIA bestehen aus Jonas, dir und drei Statisten. Würden die Alben ohne ihr Mitwirken anders klingen?

Das ist schwer zu sagen. Ich meine, es ist keine Überraschung, dass Jonas und ich das Songwriting und Texten alleine übernehmen. Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, kommen die anderen Jungs ins Spiel. Musikalisch gesehen würden wir also exakt gleich klingen, nur das Spiel der jeweiligen Musiker wäre natürlich ein anderes – siehe das Drumming von Daniel.

Mir kommt es zumindest so vor, als hätte sich eure aktuelle, modernere Richtung erst jetzt so richtig entwickelt, seitdem ihr Daniel mit an Bord habt.

Nun, wir haben jetzt endlich einen Schlagzeuger, der es uns erlaubt, so etwas zu spielen. Für Jonas, der in der Vergangenheit an den Drums saß, mussten wir es simpel halten, damit wir ihn nicht überforderten. Wenn wir uns jetzt hinsetzen und uns Gedanken um ein neues Album machen, wissen wir, was wir auch wirklich tun können – denn Daniel wird keine Probleme damit haben, es zu spielen.

Wie sieht es eigentlich mit Keyboards aus? Hören wir auf dem Album eher die bereits erwähnten Gitarreneffekte oder haben sich einige Keyboards eingeschlichen?

So ziemlich alles besteht aus Gitarren. Nur ein kleiner Teil von den Klängen, die man für Keyboards halten könnte, sind welche. Das meiste stammt wirklich aus meiner Gitarre – ein wirklicher Vorteil übrigens, denn wir können dies dann auch live umsetzen. Wir brauchen also keinen Live-Keyboarder, wir können alles selbst machen.

Die Enden von Soil´s Song und Journey Through Pressure beinhalten aber schon Mellotron-Klänge, sehe ich das richtig?

Genau. Das sind die einzig eingesetzten Tastensounds auf dem Album. Ein Analoginstrument kann man einfach nicht mit Gitarren nachspielen. Und wir alle lieben diese Klänge der Mellotren aus den 70ern. Wir haben dies, glaube ich, auf all unseren Alben eingesetzt – es erschafft eine trostlose Atmosphäre, die wunderbar zu uns passt.

Kam die Idee dazu erst im Studio?

Nein, das war von Anfang an geplant, die Sounds waren auch schon auf den Demos zum Album.

Um ehrlich zu sein, ich denke, dass sich zum ersten Mal auf einem eurer Alben ein Füller eingeschlichen hat – und der hört auf den Namen Consternation. Irgendwie werde ich damit nicht wirklich warm.

Ich kann das schon verstehen, weil dieses Lied wohl auch etwas aus dem Kontext fällt. Das soll jedoch nicht heißen, dass wir Consternation nicht mögen, im Gegenteil. Es ist kein wirklicher KATATONIA-Song, er ist ohne den bestimmten Vibe und hat keine offensichtlichen Hooks. Eigentlich ist Consternation sogar ein etwas älterer Song, den wir nicht auf Viva Emptiness stellten, weil er aggressiver war als alles, das wir bis dato gemacht hatten. Dieses Mal empfanden wir das Stück sogar als das Beste, dass wir auf Lager hatten, also fügten wir es einfach ein. (lacht)

Wurde Consternation wie ein typischer, anderer KATATONIA-Song geschrieben?

Nein, auf gar keinen Fall, aber wie, das weiß ich gar nicht mehr. Es wäre sogar fast vorgekommen, dass wir ihn wieder fallen gelassen hätten. Aber ob er dir gefällt oder nicht, lass es gut sein. Das ist keine große Sache, Geschmäcker sind schließlich verschieden.

Hast du eigentlich die Promo mal gehört?

Ja, die mit den Voice-Overs, oder? Ich finde es schlimm, wenn die Leute, die diese Promos erhalten, diese Stimme zu akzeptieren lernen. Und dann, wenn sie das richtige Album hören, fehlt ihnen diese störende Stimme. Das ist nicht im Sinne des Künstlers.

Zum Glück gibt es so etwas noch nicht für Covers; Travis Smith hat wieder einmal großartige Arbeit geleistet. Wie wird das restliche Artwork aussehen? Im selben Stil?

Oh ja! Jedes der im Booklet verwendeten Bilder könnte schon ein Cover für sich sein. Es ist alles im selben Stil gehalten, folgt einem Thema, visualisiert den jeweiligen Text aus dem Booklet. Alles ist – und das war uns wichtig – nur in zwei Farben gehalten: Rot und Schwarz.

Da freue ich mich schon drauf, das zu sehen. Allerdings bin ich verwirrt: Der Titel des Albums lautet The Great Cold Distance, das von euch viel verwendete Rot ist aber ein sehr warme Farbe.

KATATONIA
Im Cover und im Booklet zu The Great Cold Distance wird sehr viel von der Farbe Rot Gebrauch gemacht: Wir haben diese Farbe bewusst gewählt, ganz im Stil der kalten Propaganda von Ländern wie der Sowjetunion, Nordkorea und so weiter.

Stimmt. Aber wir haben diese Farbe bewusst gewählt, ganz im Stil der kalten Propaganda von Ländern wie der Sowjetunion, Nordkorea und so weiter. Dort ist alles in solchen Rottönen gehalten und es wirkt dort auch viel kälter, ein sehr charakteristischer Widerspruch.

Der Titel des neuen Albums lässt ein textliches Konzept erwarten.

Nicht direkt, höchstens ein wenig. Also es handelt sich hierbei nicht um eine Geschichte, die erzählt wird, aber diese abstrakte Kälte soll sich durch das ganze Album hindurch ziehen. Wir sind sehr fasziniert von solchen Ländern wie Nordkorea, in denen es keine Freiheit gibt und man von einer kalten Gesellschaft umgeben wird. Dieses Gefühl wollten wir wiedergeben. Wir sind aber nicht plötzlich eine besonders polititsche Band geworden.

Also dieses Mal keine persönlichen Texte?

Nein, gar nicht. Die meisten Texte sind abstrakte Grübeleien. Vier Alben lang hat Jonas sehr persönliche Texte geschrieben, aber er ist so ein guter Lyriker, es wäre schade, wenn er immer nur über die gleichen Themen schreiben würde. Das Gute an seinen Texten ist, dass jeder eine eigene Interpretation dazu hat, es aber meistens nicht trifft, um was es tatsächlich geht. Er versteckt seine Botschaften sehr gut in den Texten.

Dann lasse ich diesen Punkt mal so stehen, nicht dass wir was falsch hineininterpretieren, das ihn Kopf und Kragen kostet. Kommen wir zur Produktion von The Great Cold Distance: Ihr habt das Album wieder selbst produziert, dieses Mal in einem anderen Studio.

Genau. Wir nahmen dort auf, wo wir Viva Emptiness lediglich abmischten. Wir waren also doch schon mal in diesem Studio zu Gast. Dieser Wechsel zu den Fascination Street Studios, welches sehr unbekannt in Schweden ist, ist eine perfekte Chance für eine Band wie uns. Wir haben einen Sound erhalten, den keine andere Band hat, was sehr gut zu uns passt, da es wenig andere gibt, die ähnlich wie wir klingen. Die Mannschaft vor Ort ist eher dem Rock- und Pop-Business zugewandt, also hat sie eine ganz andere, frischere Herangehensweise. Besser hätte es für uns nicht laufen können.

Als ihr Viva Emptiness seinerzeit in den Fascination Street Studios gemischt habt, war das wie ein Test, ob eine weitere Zusammenarbeit erfolgen wird?

Genau so ist es.

Aber die Aufnahmen haben sich ziemlich lange hingezogen, oder kommt es mir nur so vor?

Ja, das war eine verdammt lange Session. Drei Monate hat es gedauert, bis alles aufgenommen war. Das liegt daran, dass wir wirkliche Perfektionisten auf diesem Album waren. Jede verdammte Note musste perfekt sein. Jedes Bandmitglied war motiviert, sein absolut Bestes zu geben. Aber nicht nur wir, auch unser Co-Producer war sehr auf Perfektion erpicht. Als wir das Studio nach so vielen Monaten verließen, wussten wir, dass die ganze Arbeit es absolut wert war. Aber allein über diese intensive Zeit nachzudenken, macht mich wahnsinnig, lassen wir lieber das Thema und schauen in die Zukunft. (lacht)

Gutes Stichwort. Tourpläne?

Es wird eine kleine Headliner-Tour im Mai geben, die durch ganz Europa führen wird. Dann natürlich Sommerfestivals und im Herbst wird es eine längere, komplette Tour durch Europa geben.

Ich habe euch erst einmal live gesehen und da war ich schon überrascht, gerade wegen dir. Jonas eher der Schüchterne, du daneben voll am Abrocken. Geht es bei euch immer so ab oder war dies eher eine Ausnahme?

(lacht) Naja, Jonas ist auch privat eher der schüchterne Typ und wenn er auf der Bühne steht und seine persönlichen Texte preisgeben muss, das ist schon hart für ihn. Er singt über dunkle Dinge, muss in Stimmung kommen, da kann er schlecht posen. Ich komme eher in die Stimmung über das, was da als Gesamtes abgeht. Ich sehe die Leute, die spornen mich an, da will ich alles geben. Bei Jonas liegt es übrigens auch am Pegel, wie sehr er abgeht, hat er kein Bier vorher getrunken, oder doch viel Bier. Dann löst er sich schneller.

Als ich auf dem 2004er Summer Breeze vor der Bühne stand, muss ich jedoch sagen: Das kam verdammt gut rüber. Auch wenn die Show vom Spielerischen her nicht perfekt war, das Gefühl hat gestimmt.

Nein, da haben wir bestimmt nicht fehlerfrei gespielt. Aber die Umstände waren perfekt für KATATONIA: Der dunkle Himmel um Mitternacht, das kam super. Ohne solche Umstände sind wir auch keine gute Live-Band.

35 Grad im Schatten, Mittags…

Oh, solche Gigs haben wir oft gespielt. Sowohl in Deutschland als auch in Griechenland und sonst wo. Nein, wir gehören in einen Club oder nachts unter einen dunklen Himmel. Sonst ist es nicht KATATONIA.

Somit sind wir schon bei der letzten Frage angelangt. Die Frage, die ich jeder schwedischen Band stelle. Ich bin ein großer Fan eures Nationalhelden Dolph Lundgren. Was denkst du über ihn?

Hm, er soll zurück nach Schweden und seinen Akzent sein lassen. (lacht)

Anders, ich danke dir für das Interview und weiterhin viel Erfolg mit KATATONIA.

Fotos: Sure Shot Worx

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