MAYHEM: Die Vergangenheit ist nur der Prolog…

Lange Interviews zu transkribieren dauert – doch was Necrobutcher vor dem MAYHEM-Gig im Mai 2014 in Winterthur zu erzählen hatte, verliert dadurch nicht an Spannung…
 
 
Die Veröffentlichung des letzten MAYHEM-Albums Esoteric Warfare ist fast ein Jahr her und es ist höchste Zeit, das im Rahmen der Esoteric Warfare-Tour in Winterthur geführte Interview zu veröffentlichen. Wer solche Verzögerungen vermeiden will, lässt am besten nie seine externe Festplatte auf den Boden fallen…

MAYHEM selber brauchen nach 30 Jahren an der Spitze der Black Metal-Szene wohl nicht mehr vorgestellt zu werden – ihre Musik, ihre Live-Shows und ihre Skandale sind legendär. Umso erfrischender, dass es ein Leichtes ist, Necrobutcher zu interviewen – denn er ist ein ernstzunehmender Musiker, keine dauerzugedröhnte, verwirrte Skandalnudel. Und man kann mit Fug und Recht sagen, dass Necrobutcher wohl mehr Black Metal erlebt hat, als die meisten Menschen es jemals werden – und dennoch, oder gerade deswegen – völlig über dem Hype steht und sich auf das konzentriert, was schon immer seine Hauptmotivation war: Musik zu machen. 

Erstens fällt natürlich auf, dass dies die erste Nicht-Festival-Tour MAYHEMs in Europa ist seit einigen Jahren. Wie fühlt es sich an, wieder in kleineren Venues aufzutreten?
Es fühlt sich gut an, wieder mal auf Tour zu sein. Es ist eine Weile her, wie du gesagt hast. Wir mögen es, auf Tour zu gehen, wenn wir ein neues Album veröffentlicht haben und es so unserem Publikum vorstellen. Unser letztes Album – Ordo Ad Chao – ist sieben Jahre her. Das ist der Grund, weswegen wir in Europa seit einiger Zeit nicht auf Tour waren. Stattdessen haben wir in Südamerika, Asien und Australien getourt. Plus eben – die Festivals, wir waren also reichlich auf der Bühne. 
Früher buchten wir jeweils eine sechswöchige Tour mit 46 Gigs. Dann hatten wir das Gefühl, dass uns die Energie gegen Ende der Tour jeweils abhanden kam. Also haben wir jetzt damit begonnen, die Tour in drei Teile zu splitten, momentan (Mai 2014) sind wir im ersten Teil. Dieser Teil besteht aus 15 Gigs, im Herbst sind wir dann etwas länger unterwegs in Skandinavien und im Baltikum. Im Januar und Februar schließen wir die Tour dann ab, aber ich weiß noch nichts Genaueres. Auf jeden Fall ist das Aufteilen besser, als eine ermüdende Monstertour zu spielen.
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Nach 30 Jahren ist MAYHEM eine der wenigen – wenn nicht die einzige Band – die noch immer existiert, neue Alben herausgibt und bei den Setlisten ihren Backkatalog berücksichtigt – vom Pure Fucking Armageddon-Demo bis zum aktuellen Album Esoteric Warfare. Wie wählt ihr eigentlich die Songs für die Setliste aus bei so einem großen Angebot?
Ähm, ja, es sind ja nicht so viele, aus denen wir auswählen müssen. Es sind…50? Oder zwischen 54 und 55, haha? Also das wäre das Total (inklusive der Instrumentals ist es 55 vor Esoteric Warfare – die Verfasserin). Wir veröffentlichen Qualität, nicht Quantität, hehe. 
Nein, echt jetzt. Wir sind ja nicht dauernd damit beschäftigt, etwas zu veröffentlichen. Zuerst muss mal die Inspiration kommen. Sie ist schon früher gekommen, und dann blasen sich Leute das Gehirn raus und werden ermordet und gehen ins Gefängnis. Und der ganze Scheiß, der sonst noch dazu kommt. Also geht es halt jeweils ein bisschen länger. Wir waren nie die Art von Band, die einen Plattenvertrag hatte, der uns vorschrieb, wir müssten jedes Jahr ein neues Album veröffentlichen. 
Was war die Frage nochmals? Ach ja, wir wählen die Songs aus, die wir gerne spielen, diejenigen, die wir selber am besten mögen. Manchmal langweilt uns einer unserer Songs plötzlich und dann nehmen wir ihn aus der Setliste raus. Und einige Jahre später fühlt es sich wieder natürlich an, genau diesen Song in die Setliste zurückzubringen. Und dann veröffentlichen wir manchmal neue Alben – es ist ja nicht so, dass wir nie etwas veröffentlichen…
MAYHEM_necrobutcher_(c)huguenindumittan 
In den letzten sieben Jahren habt ihr sehr viele Shows gespielt und wart in zahlreichen Ländern, um unter anderem Ordo ad Chao vorzustellen. Was gefällt dir am Leben on the road am besten? Und wo bist du am liebsten?
Was mir am besten liegt und was ich immer versuche, ist, dass wir irgendwie in subtropischen Ländern auftreten können, während es hier in Norwegen Winter ist. So entkommen wir dem düsteren Winter in Norwegen. Wir sind alle verschieden, also würde dir jeder in der Band eine andere Antwort auf die zweite Frage geben. Ich persönlich bin am liebsten in Westaustralien. Es ist keine billige Region, es ist nicht so, dass mein Geld dort besonders weit reicht oder ich dauernd dorthin gehe. Nein, ich mag einfach die relaxten Leute dort. Auch Touren in den USA, etwa in Kalifornien und Texas, mag ich sehr.
Also das genaue Gegenteil von Norwegen.
Ja, vielleicht ein bisschen, haha.
Ihr seid ja immer eine Band neben dem Mainstream, eine Underground-Band gewesen. Ist es heutzutage, in der übersättigten Medienlandschaft voller nutzloser Information und voller neuer Black Metal-Bands, die ebenfalls um Fans buhlen, schwieriger, MAYHEM zu promoten?
Nein, nein, nein, ich denke, dass dieses gesteigerte, weit reichende Interesse an den Bands zeigt, dass viele Leute sehr wohl die ganze Entwicklung verfolgen. Natürlich gibt es heutzutage extrem viele Bands. Das ist okay, alle diese Bands sind Fans, sie lieben diese Musik so sehr, dass sie gelernt haben, sie selber zu spielen. Also starten sie ihre eigenen Bands und das bringt wieder Massen von Leuten dazu, sich diese Musik anzuhören. Und die Szene wächst und wächst, seit sie als Undergroundbewegung Anfang der 80er begonnen hat.
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Hat es euch neue Energie als Band gegeben, Gitarrist Teloch in eure Reihen aufzunehmen für die Fertigstellung von Esoteric Warfare?
Natürlich ist es immer gut, neues Blut in die eigenen Reihen aufzunehmen. Eine neue Denkweise, andere Strategien – es ist aufregend für die Band und macht, dass es vorwärts geht. Als Blasphemer MAYHEM verließ, waren wir in Kontakt mit Teloch. Damals war er mit einer lärmigen Band unterwegs und hatte deswegen erst ein paar Monate später wieder freie Kapazitäten. Als er also zurückkam, fingen wir an, zusammen zu arbeiten. Es dauerte ein paar Jahre, wir fingen an, Songs zu schreiben und plötzlich hatten wir Material für ein neues Album, gingen ins Studio, nahmen alles auf und jetzt sind wir auf Tour.
War es immer der Plan, den Song Psywar als 7 mit From Beyond the Event Horizon als B-Seite zu veröffentlichen oder gab es eine bandinterne Debatte darüber, welche Songs auf der 7 sein sollten?
Ich erinnere mich nicht, aber einer dieser zwei sollte auf jeden Fall von Anfang an auf der 7 sein.
Grand Declaration of War war ein sehr präzises, ja fast schon klinisches Album, Ordo Ad Chao, obwohl tight bezüglich Timing, war eher freifließend und fühlte sich an wie eine Aufnahmesession auf LSD. Esoteric Warfare ist direkter, aggressiver, hat aber auch einen Touch der Kälte von Grand Declaration of War und etwas von der dunklen Atmosphäre von Ordo Ad Chao. Inwiefern waren die Aufnahmen zu Esoteric Warfare anders als diejenigen zu den Vorgängeralben?
Darüber musst du mit Teloch sprechen.
Wie viel Einfluss hattet ihr als Band auf die Gestaltung des Covers von Esoteric Warfare?
Zbigniew Bielak war als Coverkünstler angefragt worden und dann kam er mit diesem Cover an und wir reagierten alle mit Wow, das ist großartig.
Würde nicht jedes Konzept der Kriegsführung, wenn es zum ersten Mal benutzt wird, als esoterisch bezeichnet werden (z.B. der Langbogen, Feuerwaffen, NBC Waffen, Dronen oder die MK Ultra-Experimente mit LSD etc.)? Was repräsentiert Esoteric Warfare also für dich als Individuum und für MAYHEM als Band?
Die Texte handeln davon, was in Attilas Kopf abgeht bezüglich Verschwörungstheorien, eigene Interessen, Orte, an denen er gewesen ist und so weiter. Es ist sein Hauptinteresse, also müsstest du ihn befragen, wenn du mehr Details dazu haben willst. 
Diese Tour – 2014 – markiert das 30-Jahre-Jubiläum von MAYHEM. Wie fühlt es sich an, schon so lange Musik zu machen und was denkst du im Großen und Ganzen über die Metalszene?
Ich fing schon als Kind an, ein Instrument zu spielen, weil meine Helden alle Musiker waren. Also startete ich meine eigene Band, als ich etwa zehn oder zwölf Jahre alt war. Der Vater des Schlagzeugers war der Rektor der Schule und wir waren alles Schulkameraden. Die Band hieß MUSTA und wir lernten, unsere Instrumente zu spielen, indem wir BLACK SABBATH spielten. 
Dann tat ich mich mit Oystein zusammen, der im Dorf neben meinem wohnte, und wir fingen mit MAYHEM an. Seitdem nimmt mich MAYHEM ganz und gar ein, oder vielleicht ist MAYHEM einfach mein Sidekick, während ich mein Leben lebe. Weißt du, ich mache nichts Anderes sonst, ich kann also nicht die Außenperspektive einnehmen.
Der MAYHEM-Ethos war immer derjenige der Unabhängigkeit, des Fuck Off gegenüber allem und jedem. Findest du, dass diese Mentalität euch einschränkt oder befreit?
Wir wissen sehr wohl, dass wir eine unkommerzielle Art der Musik spielen und wir haben das bewusst gewählt, weil das die Musik ist, die rauskommt, wenn wir zusammen Musik kreieren. Diese Frage kommt natürlich auf, wenn Leute sagen, dass diese Musik provozierend ist – dann verteidigst du dich an einem gewissen Punkt und wir sagen dann halt Wenn du es nicht magst, dann verpiss dich, es ist dir überlassen, was du davon hältst. 
Aber wenn du versuchst, die Musik Leuten zu erklären, die in einer komplett anderen Welt leben, dann vergleiche ich MAYHEM mit Opernmusik, zum Beispiel. Es ist komplex, man muss die richtige Zuhörtechnik haben, man muss wissen, worauf man hört, alles ist auf Italienisch (singt spontan sopran), dann das ganze Makeup, man muss den Schlüssel kennen und dafür musst du dich opfern, denn sonst weißt du nichts. Und du musst dir die Musik immer wieder anhören – das ist bei MAYHEM auch so. Wir wiederholen nichts und es ist immer neu, es ist, wo wir jetzt sind, wir wiederholen uns nie.
 
MAYHEM_esotericwarfare_(c)seasonofmist 
 
Keinem von euch sind Experimente fremd, selbst wenn MAYHEMs Musik unverkennbar im Metal verankert ist – selbst wenn sie einen ganz eigenen Approach hat. Ihr habt in der Vergangenheit definitiv Interesse für Experimente gezeigt mit MAYHEM-Songs wie (Weird) Manheim, View from Nihil (Part II of II), A Bloodsword and a Colder Sun (Part I of II) und das Conrad Schnitzer-Intro von Deathcrush. Fühlt ihr euch eingesperrt im Konzept von Dunkelheit, Schnelligkeit und Aggression, für das MAYHEM musikalisch steht? Definiert ihr MAYHEMs Musik oder definiert MAYHEM die Musik, die ihr kreiert?
Hehe, ich kann es nicht von der Außenperspektive sehen, also ist es zu schwierig für mich, das zu beantworten. Du weißt schon… wir definieren definitiv MAYHEM!
Ihr seid eine der Säulen in den Annalen des Black Metals. Gab es bei euch jemals die Diskussion, musikalisch etwas anderes zu machen mit MAYHEM? Oder gibt es für solche Gelüste Side-Projekte?
Nein. Wir machen nur, was uns immer als natürlich vorkommt, aber selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Alben. Zuerst waren wir eine Art Hardcore Punkband, dann wurden wir zu diesem neuen Sound und De Mysteriis Dom. Sathanas geschah. Später wurden wir technischer mit Blasphemer, wurden ein bisschen bizarr mit Chimera und Ordo Ad Chao – einige Leute finden sogar, dass diese Alben sie an PINK FLOYD mit Sid Barrett erinnern…
Anders als deine Bandkollegen und wohl die meisten norwegischen Black Metal-Musiker bist du kein großer Side-Projekt-Fanatiker (mal abgesehen von den temporären Projekten CHECKER PATROL und KVIKKSøLVGUTTENE). Hast du keine Zeit für Side-Projekte oder kein Interesse daran?
Nein, einige müssen eben treu bleiben, haha. Im Ernst – der Grund ist wohl eine Kombination aus den zwei Gründen, die du genannt hast.
Hast du irgendwelche kurzlebigen Side-Projekt-Ideen, die irgendwo bei dir auf Tapes rumliegen und wirklich kvlt sind?
Ja, natürlich! Aber deswegen sind sie ja auf Tapes und kvlt. Niemand spricht über sie, hehe…
Sie sind also sehr persönlich, noch trver…
Ja, ja, genau, haha! Über die Jahre gab es viele Leute, die zu mir kamen und die Sachen ausgeliehen haben, Tapes und so – und dann machten sie Tapes von meinen Tapes oder machten Fotos von meinen Fotos, haha. 
Welches Equipment hast du benutzt, um das Album aufzunehmen und ist es anderes Equipment als deine Live-Ausrüstung?
Ich benutze mehrheitlich das gleiche Equipment live und auf dem Album.
Was für einen Bass benutzt du?
Einen Gibson Les Paul. Ich habe einen schrottigen Amp, aber wir experimentieren jetzt ein bisschen damit herum.
MAYHEM_hedger_(c)huguenindumittan 
Benutzt du ein Verzerrungspedal oder stellst du einfach deinen Verstärker anders ein, um deinen Bass-Sound zu kriegen?
Live suche ich immer nach der Perfektion, nach dem perfekten Sound. Dann tourst du und hast dauernd andere Verstärker, also musst du experimentieren. Ich muss ein bisschen rumschrauben an meinem Sound, also bringe ich die Pedals. Einige Pedals gehen gut mit gewissen Verstärkern, aber ich kriege nie die Verstärker, die ich bestellt habe. Einige Pedals funktionieren nicht mit gewissem anderen Equipment und dann muss ich wieder die Pedals auswechseln. Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder ein anderer Amp ist. 
Manchmal sage ich mir Wow, das ist toll, wir müssen hinschreiben, welche Art Ampeg es ist. Mittlerweile habe ich eine sogenannte Heavy Metal Tube-Verzerrung für Gitarren, ein alter Amp, der schon seit alten Zeiten herumliegt. Ich hatte zwei Rack-Effektgeräte, aber das habe ich aufgegeben. Ich hatte einen Marshall, aber er wurde gestohlen – und hatte einen wirklich tollen Sound! 
Zurzeit habe ich dieses Boss-Ding und für diese Tour habe ich einen Ampeg SVT bestellt, also einen richtigen Röhrenamp. Die Freude war von kurzer Dauer, denn der Amp gab schon am ersten Tag den Geist auf. Also spiele ich jetzt über einen Peavey Transistor-Verstärker, ich weiß nichts darüber. Wir versuchen, es irgendwie hinzukriegen und der Bass-Sound ist jedes Mal anders.
Hast du das Gefühl, dass du durch all die Dokumentationen und Interviews endlich alles sagen konntest, was du über die Vergangenheit hast sagen wollen? Oder gibt es noch Dinge, die du noch nicht gesagt hast, die dir aber auf der Zunge brennen? 
Ich glaube, das meiste wurde gesagt. Vor allem im Spektrum zwischen komplett besoffen und angepisst. Aber es gibt auch Glück, zum Beispiel, wenn wir bei einem schönen Fünf-Stern-Hotel Halt machen oder ein Champagnerbad nehmen mit einem Bikinigirl, haha. Echt jetzt – das meiste ist gesagt und getan. Wenn ich gerade jetzt angepisster wäre, dann könnte ich dir jetzt alles erzählen, was mich so anpisst, und da gibt es natürlich ein paar Dinge. Aber jetzt in diesem Moment versuche ich einfach, mich ein bisschen zu entspannen vor der Show. Ich bin also nicht in der Stimmung für irgendwelche Schimpftiraden. 
Hm, es gibt aber schon etwas, was ich noch anfügen möchte an dieses Interview. So viele Leute haben heutzutage MAYHEM-Tattoos und es ist mir unheimlich. Ich denke dann Wow! und dann kommt plötzlich dieses unheimliche Gefühl der Verantwortung, weißt du. Im Sinn von: Wir müssen diesen Fans Respekt zollen, wir dürfen nie verweichlichen, wir müssen sicherstellen, dass MAYHEM MAYHEM bleibt. Wir müssen sicherstellen, dass jeder MAYHEM-Fan die coolste Katze im Dorf bleibt, sogar mit einem kleinen Sticker, einem Backpatch. Unsere letzten Worte an unsere Fans wären: Wir werden euch nie im Stich lassen!
 
Fotos: Markus Huguenin Dumittan
Cover: Label
Layout: Dr. Arlette Huguenin Dumittan 
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