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BLUES PILLS: Blues Pills

Man kann sich blind der Begeisterung für die Band hingeben, oder eben kritisch auf sie zugehen. Das ändert aber nichts daran, dass dies Debüt in jede Sammlung gehört, das zudem sicher in einigen Jahren ein Klassiker sein wird, an den sich jeder Rockfan gern erinnern wird.

Jetzt erst??? Ja klar, es gibt nichts Langweiligeres, als wenn zeitgleich überall die Reviews kommen, alle schreiben eigentlich das gleiche. Dann lieber nachlegen und keiner merkt´s. Aber wie sagte die schnucklige Promomieze so treffend: zu diesem Album gibt es immer was zu sagen, und dafür wird es dann doch langsam Zeit, der Jahrespoll warten, also müssen ein paar Worte her… Zur Geschichte der jungen, erst Ende 2011 gegründeten Multikulti-Band BLUES PILLS braucht man sicher nicht mehr viel erzählen, Sängerin Elin hat ihre Ami-Jungs an Bass und Drums (ex-RADIO MOSCOW), sowie den jungen Franzosen an der Gitarre ja immerhin schon erfolgreich in ihre schwedische Heimat Örebro gelockt. Das macht Sinn, Europa ist der Hauptmarkt und Schweden ein guter Hafen, um Segel zu setzen. Letztendlich gibt es nicht viele junge Bands, die sofort mit so viel Lob überschüttet werden, nach nur zwei EPs, einer Single und einer Live-EP schon so angesagt zu sein, das schafft man nicht so schnell. Ist das nachvollziehbar, wird das lang erwartete Debütalbum dies bestätigen? Wer bereits Fan war wird erstmal nörgeln, dass nur zwei neue Songs sowie ein Coversong zu finden sind, den Rest kennt man von den Minischeiben. Na und, die sind teils vergriffen, und so mancher fängt bei den BLUES PILLS doch bei null an, hat einen Bogen um die Band gemacht, weil zu trendy, großes Label, zu viel Wirbel um die Band. Wer die Band kürzlich live gesehen hat oder bereits auf der Tour mit ORCHID, oder die ersten Releases kennt, der hat sicher eh schon zugegriffen. Neulingen hingegen sei gesagt, dass sie ein wirklich gutes Album verpassen könnten von einer Band, die trotz allem Hype immer noch am Anfang steht und sicher noch so einiges zu bieten hat! Im eh schon recht ausgelutschten Retro Rock-Boom noch frische Akzente zu setzen, das muss man erstmal schaffen. Der Mix aus spät 60er/früh 70er Rock mit reichlich Blues-Vibes und einer Sängerin, die sich mit kraftvoller, Soulgetränkter Stimme vom Großteil der aktuellen Chartbreaker abheben kann – die Band kommt gerade noch zur rechten Zeit, um sich sehr weit nach vorn zu schieben.

Das zeigen vor allem die Songs auf Blues Pills. Natürlich macht es Sinn, zumindest einen neuen Song nach vorne zu schieben, auch wenn die alten Songs reichlich verändert oder überarbeitet wurden. Die Single High Class Woman drückt dann auch gleich laut und kratzig, mit knurrendem Bass, simplem Groove und verspielt bluesigen Gitarren. Hier darf Elin ordentlich loslegen, auch Neulinge sollen spüren, was diese Frau kann – wenn sie denn darf. Zappelig kommt Ain´t No Change, tritt sich ein wenig selbst auf die Füße, man wartet immer, dass es voll losgeht. Tut es aber nicht, und gerade das macht den Song spannend, der aus dem Instrumental Mind Exit gewachsen ist, bekannt von der Live At Rockpalast-EP.  Youngster Dorian zeigt wieder deutlich, dass all die Vergleichsversuche echt unnötig sind, wie meistens zelebriert er vor allem das typische Gitarrenspiel von DEEP PURPLE´s RITCHIE BLACKMORE mit dessen typischen verspielten Gesten, als der noch jung und richtig gut war, was ohne jeden Zweifel auch auf den Franzosen Dorian zutrifft. Er spielt seine Gitarre, läst sie singen, erzählen, macht nicht alles platt, lässt sich selber Raum für mehr. Nahe liegt auch, dass er auch schon mal eine Platte von RORY GALLAGHER in den Händen hatte. Beim knurrig-psychedelischen Jupiter, solide gezockt, ist es wieder der Facettenreiche, soulige Gesang von Elin, der sich in den Vordergrund schiebt. Zuzuhören, wie sie singt und mit ihrer Stimme arbeitet, und alles klingt homogen und nicht zu sehr ausgearbeitet, einfach fantastisch. In der frühen Version als Titelsong zur ersten EP Bliss klingt er durch die schwedischen Vocals allerdings knuffiger. Der träge, sentimentale Part von Black Smoke kommt noch weiter zurückgezogen und laid back als bei der EP-Version. Wenn sie Gas geben kann ich ein Grinsen nicht verkneifen, weil Schwiegervater bei diesem nervösen Groove immer dem Wahnsinn nahe ist, und zufällig ganz überraschend landet dieser Song immer auf dem Mix-USB-Stick, wenn er zu Besuch ist, sonderbar… Der Schunkelblues The River trabt konstant und etwas müde wie ein altes Maultier vor sich hin, verträumt und dezent psychedelisch, Feierabendsound für Country-Hippies. No Hope Left For Me mit passendem Video, viel mehr Soul geht nicht, eingebettet in einen bluesig-ruhigen Song. Wer bei diesen Vocals nicht davonschwebt, der hat schlichtweg nicht richtig hingehört. Die große Kunst bei Elins Vocals ist das Feingefühl, ihre Vocals dem erforderlichen Ausdruck und Stil anzupassen, innerhalb eines Songs damit zu spielen, dabei Emotionen zu transportieren, ohne dass es aufgesetzt klingt. Tja, Feingefühl, dafür ist beim Bandklassiker (welche junge Band kann sowas schon vorweisen?) Devil Man wenig Platz. Gefühlt bereits auf 69 Scheiben gehört, muss dieser Kracher natürlich auch auf den ersten Longplayer. Um ein wenig zu variieren setzt man die Instrumente lautstark an den Anfang. Die Ur-Version, bei der Elin nur mit ihren Vocals alles in Grund und Boden röhrt, kommt da beeindruckender, aber ohne irgendeine Variation wäre das Genörgel sicher groß, dass es diesen Song so schon wieder gibt. Spaß macht er natürlich auch in der neuen Version. Astralplane bietet als Bluesballade wieder den Raum, dass Elin mit ihrer Stimme spielen kann, sie kuschelt, knurrt, pöbelt, verzaubert. Dazu wieder mal packende Leads von Dorian, ein knackiges Fundament von der Rhythmsection Zack und André, da kann man nicht oft genug genauer hinhören. Dem CHUBBY CHECKER-Oldie Gypsy verpasst die Multi-Kulti-Band eine Frischzellenkur, die Gitarren schieben doch mal eine Portion HENDRIX mit rein, der Song hat hier Power, Ausdruck und trägt ein fettes Hippie-Flair mit sich, WOODSTOCK lebt! Das auch Little Sun jetzt schon ein Bandklassiker ist, an den man auch in 10 Jahren sofort denkt, wenn der Name BLUES PILLS fällt, ist klar. So verträumt, in Melancholie getaucht, zarte verspielte DEEP PURPLE-Gitarren, getränkt in eine dicke bluesige Nebelwolke, große, zurückgehaltene Vocals, so klingen Rock-Klassiker. Gääähn, muss man bei Elin immer wieder die üblichen Vergleiche zu großen Stimmen der 60er/70er ziehen?  Mittlerweile steht die Schwedin für sich selbst, wird bald selbst ein Maßstab sein für folgende Sängerinnen. Dass die schnuckelige Frau auch optisch eine große Portion Hippie-Flair mitbringt, wie auch ihre Jungs, man nimmt der Band das alles einfach ab.

An den Songs gibt es also nichts zu meckern, im Gegenteil, fast alle haben das Zeug zum Klassiker für die nächste und übernächste Rock-Generation. Hier haben gefühlt die ruhigen Töne die Überhand, nächstes Mal darf es dann gern etwas mehr krachen! Die Musiker bringen ein Talent mit, das erfrischend rüberkommt und ganz ohne Selbstverliebtheit präsentiert wird. Von Dorian Sorriaux würde ich mir wünschen, dass er die BLACKMORE-Zitate etwas zurück schraubt und anfängt, einen eigenen Stil zu finden, gern nahe an seinen Idolen, aber eben mit mehr Dorian drin. Warum hat man Elin im eh recht mittigen Sound so zurückgenommen? Sie wirkt eingebettet im Gesamtsound, das mag bei manchen SängerInnen gut sein, die Vocals dieser Frau sollten aber direkt aus den Boxen springen. Zumal sie eh fast durchgehend gebremst wirkt, es kommt längst nicht all das, was Elin zu bieten hat. Vielleicht wollte man niemanden erschrecken, die Sängerin im Interesse des Bandbildes nicht zu sehr nach vorn schieben, oder sie selbst hat sich gezielt zurückgenommen, um auch auf zukünftigen Releases noch Überraschungen bereit zu halten. Vielleicht hat man mit Don Alsterberg (GRAVEYARD) auch nicht wirklich den optimalen Produzenten gewählt, Labelkollege hin oder her. Wie hätte dies Debüt klingen können, wenn man einen anderen der zahllosen Meister an schwedischen Mischpulten gewählt hätte? Wäre es der Überhammer geworden? Werden wir nie erfahren, tärningen är kastad. Ein Hinweis geht aber definitiv Richtung Picture-LP. Die Vinylversion im Coverdesign klingt – eher typisch von diesen bunten Scheiben – richtig schlecht. Sie eignet sich nur als reines Sammlerobjekt. Ob dies die normalen Color-Vinyls ebenfalls betrifft kann ich nicht sagen. Für  eine Band, in deren Zielgruppe das Genießen vom Vinylsound einfach dazu gehört, hätte man hier mehr Sorgfalt walten lassen sollen!

Dem dezenten Kritikpunkt Gesamtsound steht die Aufmachung des Albums gegenüber. Hier gibt es kein Cover, das irgendwie zu den späten 60ern/frühen 70ern passt, schrill und bunt muss es sein. Hier ist es schrill und bunt, weil man mit Love Life ein passendes Bild gewählt hat von der Holländerin Marijke Koger-Dunham, direkt aus dieser Zeit, die Künstlerin und Pferdeliebhaberin hat sich mit Layouts, Outfits und Gitarrenpaintings für Helden wie den BEATLES, CREAM, THE HOLLIES und vielen anderen und tollen Bildern wie Crowsborough ein Denkmal nicht nur im Musikzirkus gesetzt. Ein Blick aufs Cover und man weiß, was einen erwartet, und trotzdem bleibt Raum, eigene Interpretationen ins Bild zu stecken.

Wie auch immer, wer sich irgendwie für Retro-Rock interessiert, der kommt an Blues Pills nicht vorbei. Hype hin oder her, das Album zeigt eine fantastische Band, die irgendwie immer noch mit dem Fuß auf der Bremse agiert. Permanent hat man das Gefühl, da kommt noch mehr, ein heimlich zugeflüstertes Versprechen, dass die Band vielleicht auch nie einlösen wird. Aber auch das macht die BLUES PILLS so spannend, wohin geht die Reise, man will unbedingt dabei sein und nichts verpassen. Was passiert, wenn die Band die ersten Zickereien und Probleme zu bewältigen hat? Wird sie auseinander brechen oder daran wachsen und dadurch noch mehr Energie und Emotionen  in Musik packen und den Rock-Olymp besteigen? Es bleibt definitiv spannend!

Man kann sich blind der Begeisterung für die Band hingeben, oder eben kritisch auf sie zugehen, auch wegen der für meinen persönlichen Geschmack nicht optimalen Produktion. Das ändert aber nichts daran, dass dies Debüt in jede Sammlung gehört, das zudem sicher in einigen Jahren ein Klassiker sein wird, an den sich jeder Rockfan gern erinnern wird. Wer jetzt noch nachrüstet sollte die Version mit der DVD nehmen vom Auftritt beim HAMMER OF DOOM. Bild und Ton können zwar nicht mit der Aufzeichnung beim WDR Rockpalast mithalten, aber es macht halt einfach Spaß, der sympathischen Band zuzuschauen.

Und weil man sich an den BLUES PILLS eh nicht sattsehen kann:
BLUES PILLS No Hope Left For Me-Video bei Youtube

BLUES PILLS Gypsy-Video bei Youtube

BLUES PILLS Live At Rockpalast-Video beim WDR

Veröffentlichungstermin: 25.07.2014

Spielzeit: 42:47 Min.

Line-Up:
Elin Larsson – Vocals
Dorian Sorriaux – Guitar
Zack Anderson – Bass
André Kvarnström – Drums

Produziert von Don Alsterberg
Label: Nuclear Blast

Homepage: http://www.bluespills.com

Mehr im Netz: https://www.facebook.com/BluesPills

Tracklist:
1. High Class Woman
2. Ain´t No Change
3. Jupiter
4. Black Smoke
5. River
6. No Hope Left For Me
7. Devil Man
8. Astralplane
9. Gypsy (Chubby Checker-Cover)
10. Little Sun

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