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ANTI-FLAG: The General Strike

Anger-Peace-Unity!

Auf der offiziellen ANTI-FLAG-Homepage gibt es unter “Follow us…” nicht nur die üblichen Links zu myspace, facebook, twitter und YouTube. Im selben Kästchen wurde direkt unter den allseits bekannten Firmenlogos noch etwas anderes eingebettet. Ein US-Kriegskostenzähler für den Irak. Als ich zum ersten Mal hinsehe, werden gerade $820,310,122,000 angezeigt! So ganz genau kann man ihn allerdings gar nicht ablesen. Das Teil rast förmlich – siehe hierzu auch. Ein irrer Betrag für einen weiteren irren Krieg, der mit Ausnahme von so integeren Konzernen wie Halliburton und Co. – wie immer – nur Verlierer kennt.

“They´re sleeping between satin sheets, while huddled masses sleep in the streets / Tucked in at night they lay and dream, of corporate state theocracy” (aus “Nothing Recedes Like Progress”)

Alleine die gigantische Anzahl der zivilen Opfer spricht Bände. Staatlich subventionierter Terror, freundlich finanziert von den, in Folge der Wirtschaftskrise, zunehmend verarmenden Steuerzahlern – deren Schicksal den Polit-Lobbyisten allerdings noch schneller am Arsch vorbeigehen dürfte als das morgendliche Klopapier.

Apropos schnell. Im heftigen, nur 21-Sekunden währenden Opener – dem man ebenso wie “Bullshit Opportunist” und “Resist” durchaus den Melodic Hardcore-Sticker aufkleben darf – wird das Kernproblem der ganzen Misere gleich ohne Umschweife auf den Tisch gerotzt:

“No justice in a legal system, run by criminals / If you don´t like the court ruling, then you shouldn´t be poor / Now go die, go die, go die!” (“Controlled Opposition”)

Die Polit-Punk-Rocker machen genau da weiter wo sie zuletzt mit “The People Or The Gun” (2009) aufgehört haben. Mit Herz, Hirn und einem goldenen Händchen für eingängige, wie intelligente Punk-Rock-Hymnen wird auf “The General Strike” erneut gekonnt gegen (politischen) Machtmissbrauch und (soziale) Ungerechtigkeit gelärmt. Und sind der perfekten Melange aus Wut und Melodie auf “The General Strike” diesmal wieder verdammt nahe gekommen.

Stilistisch lehnt man sich an der, nach einem kurzen Major-Ausflug über zwei Alben, wieder etwas rauheren Ausrichtung des Vorgängers an. Dabei haben die Jungs das hohe Energie-Level nicht nur gehalten, sondern weiter ausgebaut. Der frische Geruch der wiedererlangten Freiheit hat sich anscheinend nachhaltig in der Band-Lunge eingenistet…und das hat, wie schon oben erwähnt, Früchte getragen. Für mein Empfinden haben die Jungs anno 2012 ihre beste Song-Sammlung seit Jahren im Gepäck – clever arrangiert und immer auf den Punkt (nicht ein Song sprengt die drei-Minuten-Marke), klimpert hier ein Beutel voller hoch melodischer Goldstücke um die Wette.

“Strap in and watch the world decay / The latest disaster today / This ain´t no fade, this ain´t no fashion / This is the world wide anthem” (aus “The Neoliberal Anthem”)

Die Aufnahmen zur bandeigenen (nur als Download und auf Vinyl erhältlichen) “Complete Control Sessions”-Ausgabe (2011) – die man insbesondere dazu genutzt hat, der internen Konsens-Lieblingsband THE CLASH mit einer Hand voll Cover-Songs zu huldigen – scheinen den Einfluss der britischen Kult-Punker um Joe Strummer auf das eigene Songwriting noch etwas verstärkt zu haben. Wer jetzt aber mit ausgedehnter Experimentierfreude in Richtung entspannterer Klanggefilde à la JUSTIN SANEs-Akustik-Folk-Soloprojekt oder chilligen Offbeat-Geschichten rechnet, liegt daneben. Auf “The General Strike” wird ohne Ausnahme straight nach vorne gerockt. Es gibt keine klassischen Referenzsongs, das Feuer der “Guns Of Brixton” wurde vielmehr subtil ins eigene Songwriting eingeflechtet.

“If the workers take a notion, they can stop all speeding trains / Every ship upon the oceans, they can tie with mighty chains / Every wheel in the creation, every mine and every mill / Fleets and armies of all nations, will at our command stand still” (aus “1915”)

Nachdem man in “The Neoliberal Anthem” die katastrophalen Auswirkungen einer auf das ungestörte Spiel der freien Marktkräfte zugeschnittenen Wirtschaftsordnung aufmerksam gemacht hat, zollen ANTI-FLAG mit “1915” dem, im titelgebenden Jahr unschuldig hingerichteten, Liedermacher und Arbeiterführer Joe Hill ihren Tribut – in den Lyrics werden auch Passagen aus Hills Testament rezitiert.

       “My Last Will” von Joe Hill

       “My will is easy to decide,
        For there is nothing to divide.
        My kin don´t need to fuss and moan-
        ´Moss does not cling to a rolling stone.´
        My body?-Oh!-if I could choose,
        I would to ashes it reduce,
        And let the merry breezes blow
        My dust to where some flowers grow.
        Perhaps some fading flower then
        Would come to life and bloom again.

        This is my last and final will.
        Good luck to All of You.”

Das groovige, von einer mitreißenden Bassfigur getragene “This Is The New Sound” entpuppt sich als grandioser, schwer mithüpfkompitabler Motivations-Ohrwurm, der dazu ermuntert, sich gegen Ausbeuterei am Arbeitsplatz zur Wehr zu setzen und der eigenen Trott-Mühle zu entfliehen. Das geniale Muppets-Video zum gleichnamigen Song setzt sich mit dem National Defense Authorization Act (NDAA) auseinander – ein hässlicher, mit der Unterschrift des US-Präsidenten an Silvester 2011 endgültig scharfgemachter, Gesetzes-Kracher, der unter anderem erlaubt Terrorverdächtige beliebig lange festzuhalten…selbstredend ohne lästigen Gerichtsprozess.

“And still we close our eyes and drown ourselves in apathy / And still we cover our ears and pray to god to cure disease” (aus “Bullshit Opportunist”)

Gerade im Vergleich zu George W. Bush mag Barack Obama ja wirklich wie ein charismatischer Heilsbringer daherkommen. Mittlerweile sollte allerdings auch den letzten seiner Jünger klar geworden sein, dass “Yes We Can” noch nie etwas anderes war als der zynische Leitspruch seiner Puppenspieler.

“Times Up! / You´re outta luck and your back´s up against the wall / From Tunisia to Washington the people are calling: No!” (aus “The Ranks Of The Masses Rising”)

Auch wenn der Großteil der Weltbevölkerung nach wie vor in beängstigender Apathie verharrt, die Welt befindet sich im Umbruch. Der arabische Frühling, die weltweite, seit ihren Anfängen im September letzten Jahres stetig wachsende, Occupy-Bewegung…tiefe Verzweiflung und Unzufriedenheit treiben immer mehr Menschen auf die Straßen…und so dringt in letzter Zeit auch endlich wieder die wichtige Erkenntnis verstärkt ins kollektive Bewusstsein vor, dass sich politische Entscheidungsprozesse und ungerechte Machtstrukturen, gerade durch Protest-/Boykott-Aktionen (siehe Albumtitel), sehr wohl erfolgreich mit-/umgestalten lassen.

“Get up! Get up! Your voices are needed / Become, become the pulse of the revolution / In the ranks of the masses rising” (aus “The Ranks Of The Masses Rising”)

ANTI-FLAG wollen die Gunst der erhöhten Aufmerksamkeit nutzen und fordern auf, sich zu beteiligen. Wohlwissend, dass jede Stimme zählt! Die für ihr großes gesellschaftliches wie politisches Engagement bekannten Musiker haben die oben genannten Ereignisse als aktiver Teil von Occupy mitverfolgt. Ihre diesbezüglichen Erfahrungen und Eindrücke haben “The General Strike” unüberhörbar geprägt – als Intro von “The Ranks Of The Masses Rising” dient beispielsweise ein kurzer Ausschnitt vom Beginn einer Occupy-Asamblea (öffentliche Versammlung mit Diskussion).

“This is class war / What are you waiting for?” (aus “Nothing Recedes Like Progress”)

Auch wenn die zweite Albumhälfte – besonders hervorzuheben sind hier “Nothing Recedes Like Progress” und “The Ghost Of Alexandria” – ein wenig abfällt, hinterlässt das neue Werk des Pittsburgh-Quartetts, nicht zuletzt dank des gereiften Songwritings, einen sehr geschlossenen Gesamteindruck. Kein Wunder, schließlich ging das Ausarbeiten der Songs erstmals überwiegend gemeinschaftlich von statten. Von den Protagonisten fällt insbesondere Bassist – und Hauptideenlieferant dieser Platte – Chris #2 auf, der immer wieder mit schönen Bassläufen glänzt, die man, dank der gelungenen Eigenproduktion, auch ohne Kopfhörer-Einsatz problemlos genießen kann. Aussetzer gibt es keine. Trotzdem fehlt was: Für meinen Geschmack dürften sich aufgrund der doch sehr mageren Spielzeit von nicht einmal 28 Minuten ruhig noch wenigstens ein, zwei weitere Songs auf der Scheibe befinden. Hätten ANTI-FLAG nicht, wie viele andere Bands (leider) auch, eine exklusive Geschichte mit dem angebissenen Apfel-Service am Laufen – “Wrong Colour” kann ausschließlich via iTunes erwerben werden -, wäre dieser Umstand wenigstens nicht ganz so bitter. Schade. So wird den CD- und Vinyl-Käufern wieder mal der lange Finger vor die Nase gehalten. Was tun? “Mic-Check!”

Weniger differenziert lässt sich festhalten, dass sich ANTI-FLAG auch auf ihrem achten Longplayer treu geblieben sind. Auch dafür ein Kompliment. Schließlich kann die Band, die nächstes Jahr bereits ihren 20. Geburtstag feiert, schon längst getrost als eine der einflussreichsten und etabliertesten Größen innerhalb ihres Genres bezeichnet werden…da können die eigenen Ideale bekanntlich schon mal in den Hintergrund treten. Eine derartige Entwicklung lässt sich bei ANTI-FLAG in keinster Weise ausmachen. Immer am Puls des politischen Weltgeschehens und wenigstens so wütend wie in ihren Anfangstagen, gehört diese Formation nach wie vor zu Denjenigen, die wirklich etwas zu sagen haben…weil man noch immer lichterloh für etwas brennt, dass diese Welt so dringend nötig hat: Love, Peace & Unity.

In diesem Sinne:

“Don´t waste any time in mourning – organize.” (Joe Hill)

Auf ihrer Europa-Tour im April, wird die Band schwerpunktmäßig in kleineren deutschen Clubs haltmachen: Tourdaten bei Vampster: ANTI-FLAG

Veröffentlichungstermin: 17.03.2012

Spielzeit: 27:25 Min.

Line-Up:
Justine Sane – Vocals, Guitar
Chris Head – Guitar, Vocals
Chris #2 – Bass, Vocals
Pat Thetik – Drums

Produziert von ANTI-FLAG
Label: Side One Dummy Records

Homepage: http://www.anti-flag.com

Mehr im Netz: http://www.facebook.com/anti.flag.official

Tracklist:
1. Controlled Opposition
2. The Neoliberal Anthem
3. 1915
4. This Is The New Sound
5. Bullshit Opportunist
6. The Ranks Of The Masses Rising
7. Turn A Blind Eye
8. Broken Bones
9. I Dont´t Wanna
10. Nothing Recedes Like Progress
11. Resist
12. The Ghosts Of Alexandria

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