GAZPACHO: Tick tock

Mit "Tick tock" werden sich die Herren aus Oslo als feste Größe ganz oben im Artrock etablieren.

Au weh, das hätte daneben gehen können. Das Buch Wind, Sand und Sterne von Antonie de Saint-Exupéry haben wir vor grob 100 Jahren in der Schule bearbeitet, und neben der fesselnden Geschichte über den missglückten Langstreckenflug des französischen Autors kommen in erster Linie Erinnerung an den furztrockenen Gymnasiallehrer hoch. Aber die Norweger GAZPACHO schaffen es mit ihrem fünften Album, dieses Trauma zu übertönen und nehmen einen erfolgreich mit auf Reisen, um den verunglückten Piloten auf seinem Überlebenskampf in der Wüste zu begleiten.

Kennt man das Buch, dann kann man der musikalischen Umsetzung von GAZPACHO ansatzlos folgen, auch noch nach so vielen Jahren. Mit dem ersten Song startet der Versuch, den Langstreckenrekord zu brechen. Euphorisch geht es los, man fliegt ja nicht jeden Tag von Paris nach Saigon. Dieser begeisterte Siegeswille hält aber nicht arg lange an, nach einer Notlandung findet sich Saint-Exupéry in der Sahara wieder, zwar unverletzt, aber allein und ohne Hoffnung auf Hilfe. So macht er sich auf den beschwerlichen Weg durch die Wüste bis zur fast tödlichen endenden Erschöpfung. Nach fünf Tagen wird er dann doch letztendlich von einer Gruppe Beduinen aufgegriffen und gerettet. Und eben diesen Inhalt haben GAZPACHO wirklich spürbar umgesetzt. Die Aufbruchsstimmung des Openers, das unerwartete Ende des Fluges, die anfangs beschwerlichen, im Verlauf immer zermürbenderen Wege durch den glühenden Wüstensand und durch bitterkalte Nächte durchlebt der Zuhörer mit. Unendliche Zeit, vertont durch immer wiederkehrendes Ticken der (Lebens-)Uhr, Tick tock, die Gedanken des Autors wandern von Hoffnung bis hin zur Aufgabe. Die Musik ist gefühlvoll bis nachdenklich, trägt passend orientalische Elemente bis hin zu melancholischen Klängen. Anspruchsvoll und abwechslungsreich zeigt man Parallelen zu PORCUPINE TREE, RADIOHEAD, MUSE oder TALK TALK. Auch die gemeinsame Tour mit MARILLION vor einigen Jahren hat hier und da hörbare Spuren hinterlassen. Nicht zu progressiv, man wird den Sound wohl eher als Artrock eintüten, erfordern die Songs Aufmerksamkeit. Nicht nur das Ende von Tick tock Part 1 mit dem bedrohlichen Gesang, der mich an die düsteren Skekse im tollen Fantasyfilm Der dunkle Kristall erinnert, sorgt für eine dicke Gänsehaut. Keiner der Musiker drückt sich in den Vordergrund, hier zählt die Story und die Musik dazu. Darauf kann sich Jan-Henrik Ohme ausleben, seine softe, angenehme Stimme trägt mit erzählenden, gefühlvollen Gesangslinien den Zuhörer durch die Geschichte und klingt zeitweise wie eine Mischung aus TALK TALK´s Mark Hollis und Morten Harket (AHA). Alles passiert auf einem hohen, aber unaufdringlichen Level. Das ist anfangs das einzige Manko dieses starken Albums: die Songs kommen so ruhig und ohne große Ausbrüche, dass man Tick tock beim ersten Hören nur so nebenbei gehört als fast langweilig und langatmig abstempeln könnte. Nach ein paar Durchgängen in der passenden Stimmung und der Bereitschaft, sich in die Story ziehen zu lassen, entfaltet das Album eine überaus fesselnde Dichte. Das Ende von Tick tock Part 2, bei dem man selbst das Flirren der Sonne am nicht endenden Horizont zu sehen glaubt, sich wirre Halluzinationen vor dem geistigen Auge breit machen, das ist großes Kino. Die alten Scheiben von GAZPACHO kenne ich nicht, spätestens mit Tick tock werden sich die Herren aus Oslo aber als feste Größe ganz oben im Artrock etablieren. Man wird dieses Album kaum als Glücklichmacher beim Autofahren hören, aber als Begleiter im Discman am Baggersee oder hier bei mir gerade nachts allein in der niedersächsischen Pampa kann man sich voll auf das Werk einlassen und sich fesseln lassen von GAZPACHO. Dass man sich danach auch (wieder) das vertonte Buch besorgen sollte steht außer Frage.

Veröffentlichungstermin: 27.03.2009

Spielzeit: 49:27 Min.

Line-Up:
Jan-Henrik Ohme -Vocals
Jan-Arne Vilbo – Guitars
Thomas Andersen – Keyboards
Kristian Torp – Bass
Mikael Kromer – Violine, Mandoline, Guitar
Robert R. Johansen – Drums

Produziert von Gazpacho und Steve Lyon
Label: HWT Productions

Homepage: http://www.gazpachoworld.com

MySpace: http://www.myspace.com/gazpachomusic

Tracklist:
1. Desert flight
2. The walk Part 1
3. The walk Part 2
4. Tick tock Part 1
5. Tick tock Part 2
6. Tick tock Part 3
7. Winter is never

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